Empört Euch, engagiert Euch, macht Euch öffentlich! Protestiert, demonstriert, setzt „likes“ und unterschreibt Petitionen – bewegt was! Das ist die neue Stimmung im Lande. Wer nicht offen Position bezieht, ist ignorant. Wer sich nicht laut dagegen ausspricht, gilt als dafür. Wer noch nie auf einer Anti-Pegida-Demo war, gerät in Gefahr, als rechts wahrgenommen zu werden, und überhaupt wird jeder Satz einem „Sympathisanten-Test“ unterzogen. McCarthy lässt grüßen. Jaja, ich weiß, der Vergleich hinkt.
Der Druck, Stellung zu beziehen steigt – politisch und ethisch. Ich will aber nicht immer öffentlich auf das Schärfste verurteilen, mich nicht lautstark distanzieren, schon gar nicht unter (Tugend)druck.
Verstehen Sie mich jetzt bloß nicht falsch: Ich finde es grundsätzlich gut, für seine Werte und Überzeugungen auf die Straße zu gehen, und sich zu engagieren. Ich war auf der Anti-Pegida-Veranstaltung auf dem Römer vor 14 Tagen und habe auch die eine oder andere Petition gegen Rechts oder gegen Gewalt unterschrieben, die mir sinnvoll erschien, aber ich will nicht moralisch dazu verpflichtet werden, das tun zu müssen.
Ja, auch ich bin manchmal empört, aber ich empöre mich nicht so schnell. Ich bin streitfest, muss mich aber nicht immer gleich streiten. Ich zettle keine Revolution an, nur weil ich gerade einen revolutionären Gedanken hege und habe auch nicht immer das Bedürfnis meinen Gegnern sofort etwas zu entgegnen. Ich gehe nicht auf die Straße, nur weil das jetzt alle tun. Ich schreibe selten Leserbriefe, habe noch nie einen Zeitungsartikel kommentiert, provoziere nicht und urteile nicht vorschnell über andere, nur weil ich gerade ihr Verhalten nicht verstehe oder ihre Meinung nicht teile.
Aber macht mich das zu einem Ignoranten oder gar zu einem Schlechtmenschen?
Ob meine Freunde Juden, Christen oder Moslems sind, weiß ich in den meisten Fällen gar nicht. Ob sie schwarz oder weiß, alt oder jung, Mann oder Frau oder ein bisschen von beidem sind, ist mir völlig egal. Wenn mich jemand braucht, bin ich da. Aber wenn ich merke, dass jemand meine Grundwerte nicht teilt, gehe ich auf Distanz und sage ihm/ihr warum – ganz leise und nur ihm/ihr.
Ich sage meine Meinung, wenn ich mir eine gebildet habe – im kleinen Kreis, oder wenn ich darum gebeten werde. Ich plappere keine Parolen nach, betreibe keine Stammtischpolitik. Ich tue nichts, wenn ich nicht voll davon überzeugt bin, und lasse mir nichts tun, was ich nicht will. Ich überlege, welche Konsequenzen mein Handeln und meine Worte für andere Menschen haben (meistens zumindest). Und ich gehe dazwischen, wenn jemand ungerecht behandelt wird, schlage mich auf die Seite von Schwachen, wenn sie von Stärkeren in Bedrängnis gebracht werden, greife Leuten unter die Arme, die eine Stütze brauchen.
Wer mich kennt, weiß, dass ich schon immer Charlie war – und Tuğçe und Anne und Alan. Wer daran zweifelt, kann mich fragen.
Ich schlage die kleinen Schlachten, für die manche vor lauter Verurteilen, Distanzieren und Protestieren leider keine Zeit mehr haben. Von meiner Sorte gibt es viele und niemand von uns will sich für diese „Ignoranz“ schlecht fühlen müssen.
Bild: Ausschnitt aus „Kampfhähne“ von Peter Ostermeyer
Meine Liebe, du sprichst bzw. schreibst mir aus der Seele. Proteste und die Möglichkeit sie ungestraft von sich geben zu dürfen sind ein hohes Gut. Ich bin froh in einem Land zu leben, in dem man seine Meinung frei äußern kann. Aber auch froh, es nicht immer und überall zu müssen. Und ich gebe mir Mühe Toleranz und Hilfsbereitschaft im Alltag wo immer es mir möglich ist zu leben. Das kann auch mal im Aldi an der Kasse sein, wo man nicht in die Meckerei über die lange Schlange einstimmt sondern mal zu bedenken gibt, wie schlecht das Personal dort bezahlt wird…. Wenn wir alle im Alltag ein bisschen mehr Nächstenliebe leben würden, wäre vielleicht gar nicht so viel Protest nötig!
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