Es war mal wieder einer dieser Tage: Schon vor Acht kam der erste Job rein – ultra-urgent, gefolgt von drei „Kannst Du mal bitte eben schnell hier draufgucken“, zwei „Ich brauche mal ganz kurz Deine Hilfe“, ein paar „Geht das bis morgen?“ und begleitet von einem Tagespensum, das auch ohne die Ad-hoc-Dinge (die ja im Grunde genommen den Job erst richtig interessant machen) schon recht ambitioniert war … Aber wie immer ging am Ende alles auf, wenn auch unter schmerzlichem Verzicht auf die Mittagspause.
Und genau deshalb kehrte ich meinem drängenden Hungerimpuls folgend bei meinem Lieblingsspanier „umme Ecke“ ein, dem Don Juan in der Fahrgasse – sehr empfehlenswert wegen der guten Tapas, aber nicht zuletzt auch wegen der liebenswerten und gelassenen ServiceChefin und des ebenso liebenswerten, wenn auch ganz und gar nicht gelassenen KüchenChefs.
Dort fand ich vor der Tür nicht nur den letzten Parkplatz, sondern bei frühsommerlichen Temperaturen genau noch einen freien Tisch. Die Tische standen eng, und so quetschte ich mich auf ein Gartenstühlchen zwischen ein Paar und zwei Kumpel, bei denen ich auf Männerabend tippte, bestellte einen weißen Rioja und vertiefte mich in ein Theaterstück auf meinem iPad. Ich lese immer, wenn ich allein Essen gehe – es gibt nämlich kaum etwas Blöderes, als Löcher in die Luft zu starren und so zu tun, als hörte man nicht zu, wenn sich die Menschen um einen herum unterhalten. Und „Leute gucken“ ist in einem Restaurant vielleicht auch ein bisschen aufdringlich. Aber ich kam gar nicht recht zum Lesen, weil mich mein Schräggegenüber (einer der beiden Männerabend-Tourer) aus einem mir unerfindlichen Grund in das Gespräch einbeziehen wollte. Abgekämpft wie ich war, wirkte ich sicher weder sehr gesprächig noch attraktiv − und nach einem feierabendlichen Flirt war mir schon gar nicht: viel zu anstrengend. Aber die Bemühungen waren erfolgreich, zumal ich bald registrierte, dass ich es offenbar mit einem Trio zu tun hatte. Die Dame am Nebentisch gehörte irgendwie auch dazu. Spätestens als sich mein Nebenmann mit Handschlag vorstellte, steckte ich den iPad weg und dachte „Fein. Lesen geht immer, reden nicht, und das hier könnte witzig werden.“ Außerdem gibt es für mich nun mal kaum etwas Spannenderes als Menschen, egal wie müde ich bin.
Das Schräggegenüber war wohl so zwischen 60 und 65, mein Nebenmann auf den ersten Blick ein bisschen jünger als ich und die fröhliche Dame geschätzt um die 60 lauter Best Ager also 😉
Mr. „zwischen 60 und 65“ – sonnengebräunt und betont jugendlich in eine Jeans mit aufgedrucktem Fleck gekleidet, die er, wie wir später erfuhren, sehr günstig eingekauft hatte − tat sich mit Witzen hervor und damit, dass sein Kumpel, obgleich jünger, mehr Bauch hätte als er, was nebenbei bemerkt überhaupt nicht stimmte. Anfangs war ich maximal halbbelustigt, musste aber nach meinem zweiten Rioja mitlachen. Nach der Witzerunde kam heraus, dass das Trio eigentlich doch ein Duo war. Die beiden hatten die Lady am Nebentisch genauso wie mich „dazugecastet“, nur eine halbe Stunde früher.
So verbrachten wir vier zwei Stunden mit Witzeleien, Sprüchen und Urlaubsstories, unterbrochen vom Austausch von Eckdaten wie Beruf (irgendwas Tourismus, irgendwas mit Mode und irgendwas mit Medien), Alter (meine Schätzungen hatten sich so ungefähr als richtig erwiesen), Wohnviertel (über die ganze Stadt verstreut) und aktuellem Familienstand. Die Stimmung, die Lautstärke und unsere Sympathie füreinander stieg mit jedem Schluck … bis der Kellner uns bat, ins Lokalinnere umzuziehen – wegen der Nachbarn … aber einer der Männer hatte eine andere Idee.
Ein Stück die Straße hinauf gibt es das „Mona Lisa“, eine Kneipe, an der ich quasi täglich vorbeifahre, die ich aber noch nie von innen gesehen hatte. Bei mindestens drei von uns leuchteten die Augen, als das Wort „Gin Tonic“ fiel, und damit war die Sache abgemacht. Wir zahlten und blödelten unserem Ziel entgegen: deutsche Schlager, 80er-Jahre-Musik, kaminrote Wände mit vielen Bildern, in der Ecke ein Pärchen, vor der Theke zwei Frauen um die 30, dahinter eine jüngere und eine ältere Frau mit osteuropäischem Akzent. Ich tippte auf Mutter und Tochter, aber beide hatten so intensiv an ihrer Erscheinung gearbeitet, dass ich mich verschätzt hatte. Sie waren Großmutter und Enkelin, die Inhaberinnen des Lokals.
Irgendwie war vorher schon mal die Rede vom Tanzen gewesen, und so dauerte es genau einen halben Drink, bis sich einer der Herren zuerst mal Monika schnappte, während der andere und ich entdeckten, dass wir gemeinsame Bekannte haben (ich sag’s ja immer: Frankfurt ist ein Dorf), und das „Wer hat das doch gleich gesungen“-Spiel spielten. Ein paar Mal musste der die Suchmaschine mit dem großen „G“ das Rätsel lösen. Ach, waren das noch Zeiten, als man stundenlang über solche Fragen nachdenken musste, und wieviel größer war die Freude, wenn man irgendwann selbst auf die Antwort kam – aber das nur nebenbei.
Unser Tänzer erwies sich als sehr bewegungshungrig, so sehr, dass er irgendwann seine erste Wahl zunächst gegen mich und später sogar gegen seinen Kumpel austauschte. Das muss allerdings schon nach dem zweiten Gin Tonic gewesen sein…
Ruckzuck war die halbe Nacht vergangen. Verbracht hatte ich sie mit drei mir völlig fremden Menschen, mit Blödsinn machen, Witze reißen, Disco Fox und Herumalbern. Irgendwann packte uns die Müdigkeit. Der Tänzer verabschiedete sich auf dem Fahrrad (ich hoffe mal, er ist gut angekommen) und wenig später zogen auch wir übrigen bestens gelaunt unserer Wege in die heimischen Heias – je nach Strecke per pedes oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, versteht sich.
Keine Ahnung, ob die anderen am nächsten Tag genauso k.o. waren wie ich, aber ich vermute es mal. Keine Ahnung, ob wir uns irgendwann wieder begegnen, aber für einen Abend waren wir eine Clique und maximal 17 Jahre alt. Und wenn ich am Mona Lisa vorbeifahre, muss ich jetzt immer lächeln …
Fazit: Die besten Abende passieren ungeplant − auch und gerade mit fremden Menschen und wenn man noch so müde ist. Stay Crazy and curious!