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Nach längerer Zeit ausgeprägter Faulheit und anderer Prioritäten verbringe ich seit Weihnachten wieder öfter mal ein Stündchen oder zwei im Fitnessstudio. So auch letzte Woche. Mein Superstudio liegt über den Dächern der City, und vom X-Trainer aus hat man einen Blick über selbige gen Süden. Mit einem freundlichen Hallo gehe ich den Umkleideraum, alles in glänzendem Weiß und Dunkelbraun – sehr chic. Mein Gruß bleibt unbeantwortet, aber daran bin ich hier gewöhnt. Scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, an das ich mich aber niemals halten werde.
Neben den üblichen Kursen und Gerätschaften bietet das Studio unter anderem ein Schwimmbad (ebenfalls mit Blick über die City), kleine Holzkammern zum Passiv-Schwitzen und sargähnliche High-Tech-Trommeln, um sich bei Bedarf die Haut mit falscher Sonne zu verderben. Man kann Massagen buchen und es gibt einen Bartresen, wo Getränke, Eiweiß-Shakes und Schokoriegel verkauft werden, die ebenso wie die anderen angebotenen Proteinprodukte dem Freizeitsportler absolut nichts bringen, aber sehr lecker schmecken. Für meine mittlerweile knapp 95 Euro Monatsbeitrag bietet das Studio also alles, was das fitnesshungrige Herz begehrt – wie konnte es eigentlich passieren, dass ich die automatische Beitragserhöhungsklausel im Kleingedruckten überlesen habe? Aber ich schweife ab. Jetzt erst mal los auf’s Gerät; schließlich bin ich nicht zum Spaß hier …
Ich habe Glück. Es sind ein paar X-Trainer frei. Ich wähle mir einen mit Blick auf möglichst viele TV-Bildschirme, die hier zu siebt oder acht herumhängen, damit man sich beim Schwitzen nicht langweilt oder im besten Fall sogar vergisst, dass das was man gerade tut ziemlich anstrengend ist. Heute funktioniert das leider nicht. In den kleinen schwarzen Rechtecken flimmern nur Sportreportagen, Musikvideos und ein paar unsägliche Privatsender-Serien. Ich schau mich mal um, was ich eigentlich nicht sollte. Noch so ein ungeschriebenes Gesetz. Neben den Normalos, die aber wenig unterhaltsam sind, tummeln sich hier ein paar sehr bemerkenswerte Menschenexemplare.
Schräg vor mir zum Beispiel sitzen auf winzigen Fahrrädern zwei Vertreter der ziemlich dicken Mädchen und Jungs, die vor allem am Jahresanfang für maximal drei oder vier Wochen auftauchen und sich dann wieder in Luft auflösen, weil sie merken, dass Kuchen und Sahnesoße einfach mehr Spaß machen als Laufband und Foltergerätschaften. Vielleicht tue ich ihnen aber auch Unrecht. Vielleicht suchen sie sich einfach nur ein anderes Studio, weil sie hier besonders gefährlich leben. Die Studioleitung hat nämlich mittlerweile so viele Cardio-Geräte aufgestellt, dass ich meinem Schicksal jedes Mal danke, wenn ich den Weg zum Desinfektionsmittelspender und zurück zwischen all den ausgestellten Ellbogen und um sich schlagenden X-Trainer-Griffen lebend überstanden habe – und ich gelte gemeinhin als schlank. Die Lebensgefahr steigt überproportional zur Kleidergröße.
Lächeln muss ich über das putzige 1,60-Meter-Männlein, das tapfer mit wilder Hantel-Arbeit (max. 2 kg, wenn ich das richtig sehe) sein Napoleon-Syndrom bekämpft. Er guckt alle zwei Minuten an sich runter, ob man schon was sieht und blickt sich dann verlegen um, ob ihn jemand beim prüfenden Blick ertappt hat. Nein mein Kleiner, man sieht noch nix, und ja, ich habe Dich ertappt!
Die jungen schlanken Mädels in ihren Marken-Stofffetzen sind dagegen wirklich nett anzusehen. Da bleiben manchmal keine Fragen offen, sag ich Euch. Sie wirken so, als müssten sie eigentlich gar nicht hier sein, aber vielleicht täuscht das. Wahrscheinlich sehen sie nur so gut aus, weil sie hier sind. Mein Blick bleibt allerdings irritiert an einem etwas zu blonden Exemplar in einem Nichts von rosa Trägerhemdchen hängen, das sich ziemlich gefährdet über ihre beiden 300-Gramm-Silkonkissen spannt. Sie prüft alle zehn Minuten mit einem lila Handspiegelchen (ich sehe tatsächlich Swarovski-Steinchen blitzen), ob das Make-up noch in Ordnung ist und checkt zwischendurch mehrfach, ob sie auch gesehen wird – wird sie und nicht nur von mir.
Zwei Reihen hinter ihr spazieren nämlich zwei ältere, um Hüfte und Taille recht „kuschelige“ Herren auf ihren Laufbändern, die sie auf 4km/h gestellt haben. Das entspricht der Geschwindigkeit eines Stadtbummels. Der eine liest nebenbei die FAZ (offenbar mag er die TV-Programme auch nicht). Der andere, ebenso hals- wie haarlos, schafft es ob seiner unverhohlenen Begeisterung für die Handspiegelchen-Jongleuse kaum noch, mit dem Band Schritt zu halten. Er trägt ein dunkelblaues 3-Streifen-Outfit, und ich wette, darunter verbirgt sich irgendetwas aus weißem Feinripp. Jetzt hat er sich aber offenbar sattgesehen und wendet sich der Ecke mit dem „schweren Gerät“ zu. Auch ich gucke mal, was es dort zu Gucken gibt.
Ja, schon viel besser: Hier stehen nämlich die ganz durchtrainierten Zeitgenossen und -genossinnen, die jede Bewegung ihrer gestählten Körper im Spiegel kontrollieren und die Sache wirklich ernst zu nehmen scheinen – sehen schon toll aus diese austrainierten Jungs und Mädels, die scheinbar mühelos irgendetwas durch die Luft schwingen, das ich wahrscheinlich nicht mal 5 cm anheben könnte, ohne zur Lachnummer zu werden. Für mein bei diesem Anblick schwächelndes Selbstbewusstsein wäre es jetzt gut zu wissen, dass diese Prachtgestalten total hohl im Kopf sind, aber ich fürchte, die meisten sind es nicht. Ich stelle meinen X-Trainer rauf auf Stufe 15, erhöhe meine Geschwindigkeit und besinne mich auf den eigentlichen Zweck meines Besuchs. Auf dem zweiten Bildschirm von links läuft mittlerweile eine Reportage über Mittelamerika. Die schaue ich mir jetzt mal an.
Nach einer guten Stunde aktiven Schwitzens und Guckens, in der ich laut „Boardcomputer“ 540 kcal verbrannt habe, vollbringe ich auch diesmal das Wunder, unversehrt dem Cardio-Geräte-Dschungel zu entkommen. Gen Dusche strebend passiere ich wieder den Tresen. Die Barhockergesichter kenne ich mittlerweile schon. Das eine oder andere davon habe ich in den sechs Jahren meiner Mitgliedschaft noch nie auf einem der Geräte gesehen … die frönen offensichtlich einem anderen Sport.
Zurück in der Kabine treffe ich auf ein Dutzend halb oder ganz nackter Frauen aller Formen und Größenklassen, die sich in Kleingruppen oder zu zweit intensiv über ihr Privatleben austauschen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ihnen jeder zuhören kann. Was man da so alles erfährt …. aber das ist ein Thema für sich, über das ich demnächst mal etwas schreiben werde. Ich steige also schweigend unter die Regenwald-Dusche, packe meine Sachen zusammen (sehr langsam, weil die Musik aus dem Lautsprecher gerade so schön ist) und mache mich mit einem fröhlichen Tschüss auf den Weg zurück ins richtige Leben und an meinen PC. Antwort kriege ich keine. War ja klar, aber ich gebe nicht auf, niemals 😉