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Moving on

~ Man muss immer tun, was man nicht lassen kann.

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Schlagwort-Archiv: Blog

Kleiner Affe Angst* oder „einfach mal aufmachen“

19 Mittwoch Okt 2016

Posted by anette quentel in (Zwischen)menschliches, Kleiner Affe Angst

≈ Ein Kommentar

Schlagwörter

Beziehungen, Blog, Quentel

Es soll ja durchaus Menschen über 50 geben, die sich wild ineinander verliebt haben, ohne Wenn und Aber aufeinander zugestürmt sind – mit Schmetterlingen, Blödsein, WhatsApps im Viertelstundentakt und dem vollen „Junge-Erwachsenen-Programm“. Das berichten zumindest einschlägige Frauenzeitschriften, von denen es ja mittlerweile auch schon Versionen für Mädels in einem Alter gibt, das bei den Jungs als die besten Jahre gilt. Mal unter uns: Ich möchte gar nicht wissen, wie lange die suchen mussten, bis sie die für eine Reportage notwendigen drei Erfolgsstorys gefunden hatten.

Tatsächlich machen wir mittelalten Jungs und Mädels es uns nämlich verdammt schwer. Schließlich trägt jede(r) von uns die eine oder andere Seelenschramme mit sich herum, bestenfalls kaschiert durch einen Top-Body und/oder umschmeichelt von einem Designerkleidchen oder -anzug − schlechtestenfalls verborgen unter Fettpölsterchen und/oder leichten Verdickungen unter den Unterlidern, die von bisweilen unmäßigem Alkoholgenuss und zu wenig Schlaf zeugen.

Der/die eine oder andere hat auch schon Esoterik- oder Therapieerfahrung aus der „Sei gelassen und liebe Dich selbst“-Kiste im Gepäck, leicht zu erkennen am beseelten „Das Universum weiß, was gut für mich ist, alles geschieht, wie es geschehen muss“, am betont entschlossenen „Nein, das möchte ich nicht“ oder am pseudo-lockeren „Du, meine Freiheit ist mir total wichtig, ich verbiege mich für niemanden“. Manche lassen sich sogar dazu hinreißen, sich selbst und den Rest der Welt mit einem „Ach, ich lebe so gerne allein: keine Kompromisse, keine Rücksichtnahme auf irgendwen und himmlische Ruhe, wenn ich nach Hause komme“ zu belügen. Und wenn ich Sätze wie: „Ich bin so gerne Single. Ich brauche keinen Partner. Ich habe alles, was ich will“ höre, gehen bei mir die Zweckoptimismus-Alarmleuchten an.

Hey, dafür sind wir noch zu jung, wir Mittelalten!

Niemand zwischen 50 und Anfang 60 kann mir erzählen, dass er/sie sich allabendlich selig lächelnd auf dem Sofa der ihn/sie umgebenden Stille erfreut, und sich nie eine Schulter wünscht, die nicht dem besten Freund/der besten Freundin oder der Mutti gehört. Und niemand kann mir weismachen, dass seine/ihre je nach Geldbeutel Pasta- oder X-Sterne-Dinner-Abende im Kreise befreundeter Paare und/oder anderer Singles oder der eine oder andere Event in Begleitung einer wahlweise stilvollen oder unglaublich gutaussehenden Begleitung (im Idealfall beides) das sind, was er/sie unter erfüllter Zwischenmenschlichkeit versteht.

Und wenn dann plötzlich so jemand auftaucht? Auch allein, auch des Alleinseins überdrüssig, auch auf der Suche nach ein bisschen Wärme für Seele und, ja, auch für den Körper − denn um damit abgeschlossen zu haben, sind wir auch noch zu jung 😉 Wenn da also jemand auftaucht, mit ähnlichen Interessen, der aber genug Neues mitbringt, um zu inspirieren? Jemand, mit dem man lachen kann und streiten; über Musik, Romane, die Aktienmärkte, die letzte Premiere oder das neue iPad diskutieren; in Ausstellungen, in die Kneipe an der Ecke oder in die Oper gehen; Shoppen, Joggen, Kuchen essen oder eben einfach nur auf der Couch oder am Wasser sitzen kann? Jemand, dem man stundenlang zuhören könnte und der mit einem nach einem guten Essen nebst einer Flasche Wein, „My way“ grölt, bis die Nachbarn klingeln, der einen ordentlich durchküsst und sich ordentlich durchküssen lässt – eine(r) der/die noch genauso viele Träume hat und sich meist so jung und manchmal so alt fühlt wie man selbst. Kurz: jemand, mit dem es vielleicht so richtig schön werden könnte?

Dann machen wir (Über)Lebensexperten erstmal zu − sicherheitshalber!

dose

Denn dann fangen die so mühsam oder teuer getarnten Schrammen an zu jucken. Und der kleine Affe Angst auf der linken Schulter fragt: „Und wenn das wieder schiefgeht?“ – „Und wenn es doch nicht passt?“ Denn gesellt sich die Erfahrung dazu: „Wenn er/sie in ein paar Wochen oder Monaten wieder weg ist, wird es sich noch einsamer anfühlen als beim letzten Mal …“ Und dann schaltet sich der Kopf ein: „What goes up, must come down again“ (denn um das nicht zu wissen, sind wir nicht mehr jung genug 😉 ) – dicht gefolgt vom Selbstschutzmechanismus: „Besser mal vorsichtig sein, abwarten, so tun, als würde einen der/die andere nicht sonderlich interessieren. Bloß keine Gefühle investieren. Cool bleiben. Und auf gar keinen Fall irgendwas erwarten! Wer nichts erwartet, kann nicht enttäuscht werden.“ Schließlich folgt das Übelste, das Kalkül, denn als „gestandene Singles“ sind wir ja strategisch lebensgeschult: „Jetzt lasse ich genau drei Tage vergehen, bis ich auf seine Nachricht antworte, sonst hält er mich womöglich noch für einen verzweifelten Single.“ (Originalzitat aus einem Gespräch mit einer Single-Bekannten) … Pah, alles Quatsch, alles schlecht!

Warum nicht einfach machen? Warum nicht, sich vor Augen führen, dass jeder Mensch anders ist und die „neue Option“ nichts mit den alten Schrammen zu tun hat. Warum nicht alles erwarten, gleich antworten, sagen, dass man den anderen verdammt gut findet?

Eine meiner Lieblings-Lebensweisheiten ist: „Mit ‚Ach egal, ich mach einfach mal‘ haben einige der blödesten Erfahrungen meines Lebens begonnen. Einige der besten aber auch!“ Ich möchte die blöden nicht missen. Auch die haben mein Leben bereichert, bunt gemacht, und keine davon war so blöd, dass sie nicht auch gut gewesen wäre. Und für die besten werde ich ewig dankbar sein.

Also Ihr lieben Mit-Mittelalten: Aufmachen, Dinge zulassen und das kleine Äffchen von der linken Schulter schubsen. Einfach mal losstürmen, bestenfalls wild und ohne Wenn und Aber in zwei offene Arme und sich lachend mit offenen Armen erstürmen lassen. Wenn es am Ende doch nicht gepasst hat, dann hat es halt nicht gepasst, aber schön war’s eine Weile! Und wenn es am Ende passt, ist sowieso alles gut.

*Titel inspiriert vom Titel eines Theaterstücks, das ich kürzlich gesehen haben, bei dem es aber um etwas ganz anders ging.

Neulich nach einem harten Arbeitstag …

20 Freitag Mai 2016

Posted by anette quentel in People & Places, Verrückter Abend

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Blog, Quentel

Es war mal wieder einer dieser Tage: Schon vor Acht kam der erste Job rein – ultra-urgent, gefolgt von drei „Kannst Du mal bitte eben schnell hier draufgucken“, zwei „Ich brauche mal ganz kurz Deine Hilfe“, ein paar „Geht das bis morgen?“ und begleitet von einem Tagespensum, das auch ohne die Ad-hoc-Dinge (die ja im Grunde genommen den Job erst richtig interessant machen) schon recht ambitioniert war … Aber wie immer ging am Ende alles auf, wenn auch unter schmerzlichem Verzicht auf die Mittagspause.

Und genau deshalb kehrte ich meinem drängenden Hungerimpuls folgend bei meinem Lieblingsspanier „umme Ecke“ ein, dem Don Juan in der Fahrgasse – sehr empfehlenswert wegen der guten Tapas, aber nicht zuletzt auch wegen der liebenswerten und gelassenen ServiceChefin und des ebenso liebenswerten, wenn auch ganz und gar nicht gelassenen KüchenChefs.

Dort fand ich vor der Tür nicht nur den letzten Parkplatz, sondern bei frühsommerlichen Temperaturen genau noch einen freien Tisch. Die Tische standen eng, und so quetschte ich mich auf ein Gartenstühlchen zwischen ein Paar und zwei Kumpel, bei denen ich auf Männerabend tippte, bestellte einen weißen Rioja und vertiefte mich in ein Theaterstück auf meinem iPad. Ich lese immer, wenn ich allein Essen gehe – es gibt nämlich kaum etwas Blöderes, als Löcher in die Luft zu starren und so zu tun, als hörte man nicht zu, wenn sich die Menschen um einen herum unterhalten. Und „Leute gucken“ ist in einem Restaurant vielleicht auch ein bisschen aufdringlich. Aber ich kam gar nicht recht zum Lesen, weil mich mein Schräggegenüber (einer der beiden Männerabend-Tourer) aus einem mir unerfindlichen Grund in das Gespräch einbeziehen wollte. Abgekämpft wie ich war, wirkte ich sicher weder sehr gesprächig noch attraktiv − und nach einem feierabendlichen Flirt war mir schon gar nicht: viel zu anstrengend. Aber die Bemühungen waren erfolgreich, zumal ich bald registrierte, dass ich es offenbar mit einem Trio zu tun hatte. Die Dame am Nebentisch gehörte irgendwie auch dazu. Spätestens als sich mein Nebenmann mit Handschlag vorstellte, steckte ich den iPad weg und dachte „Fein. Lesen geht immer, reden nicht, und das hier könnte witzig werden.“ Außerdem gibt es für mich nun mal kaum etwas Spannenderes als Menschen, egal wie müde ich bin.

Das Schräggegenüber war wohl so zwischen 60 und 65, mein Nebenmann auf den ersten Blick ein bisschen jünger als ich und die fröhliche Dame geschätzt um die 60 lauter Best Ager also 😉

Mr. „zwischen 60 und 65“ – sonnengebräunt und betont jugendlich in eine Jeans mit aufgedrucktem Fleck gekleidet, die er, wie wir später erfuhren, sehr günstig eingekauft hatte − tat sich mit Witzen hervor und damit, dass sein Kumpel, obgleich jünger, mehr Bauch hätte als er, was nebenbei bemerkt überhaupt nicht stimmte. Anfangs war ich maximal halbbelustigt, musste aber nach meinem zweiten Rioja mitlachen. Nach der Witzerunde kam heraus, dass das Trio eigentlich doch ein Duo war. Die beiden hatten die Lady am Nebentisch genauso wie mich „dazugecastet“, nur eine halbe Stunde früher.

So verbrachten wir vier zwei Stunden mit Witzeleien, Sprüchen und Urlaubsstories, unterbrochen vom Austausch von Eckdaten wie Beruf (irgendwas Tourismus, irgendwas mit Mode und irgendwas mit Medien), Alter (meine Schätzungen hatten sich so ungefähr als richtig erwiesen), Wohnviertel (über die ganze Stadt verstreut) und aktuellem Familienstand. Die Stimmung, die Lautstärke und unsere Sympathie füreinander stieg mit jedem Schluck … bis der Kellner uns bat, ins Lokalinnere umzuziehen – wegen der Nachbarn … aber einer der Männer hatte eine andere Idee.

Ein Stück die Straße hinauf gibt es das „Mona Lisa“, eine Kneipe, an der ich quasi täglich vorbeifahre, die ich aber noch nie von innen gesehen hatte. Bei mindestens drei von uns leuchteten die Augen, als das Wort „Gin Tonic“ fiel, und damit war die Sache abgemacht. Wir zahlten und blödelten unserem Ziel entgegen: deutsche Schlager, 80er-Jahre-Musik, kaminrote Wände mit vielen Bildern, in der Ecke ein Pärchen, vor der Theke zwei Frauen um die 30, dahinter eine jüngere und eine ältere Frau mit osteuropäischem Akzent. Ich tippte auf Mutter und Tochter, aber beide hatten so intensiv an ihrer Erscheinung gearbeitet, dass ich mich verschätzt hatte. Sie waren Großmutter und Enkelin, die Inhaberinnen des Lokals.

Irgendwie war vorher schon mal die Rede vom Tanzen gewesen, und so dauerte es genau einen halben Drink, bis sich einer der Herren zuerst mal Monika schnappte, während der andere und ich entdeckten, dass wir gemeinsame Bekannte haben (ich sag’s ja immer: Frankfurt ist ein Dorf), und das „Wer hat das doch gleich gesungen“-Spiel spielten. Ein paar Mal musste der die Suchmaschine mit dem großen „G“ das Rätsel lösen. Ach, waren das noch Zeiten, als man stundenlang über solche Fragen nachdenken musste, und wieviel größer war die Freude, wenn man irgendwann selbst auf die Antwort kam – aber das nur nebenbei.

Unser Tänzer erwies sich als sehr bewegungshungrig, so sehr, dass er irgendwann seine erste Wahl zunächst gegen mich und später sogar gegen seinen Kumpel austauschte. Das muss allerdings schon nach dem zweiten Gin Tonic gewesen sein…

Ruckzuck war die halbe Nacht vergangen. Verbracht hatte ich sie mit drei mir völlig fremden Menschen, mit Blödsinn machen, Witze reißen, Disco Fox und Herumalbern. Irgendwann packte uns die Müdigkeit. Der Tänzer verabschiedete sich auf dem Fahrrad (ich hoffe mal, er ist gut angekommen) und wenig später zogen auch wir übrigen bestens gelaunt unserer Wege in die heimischen Heias – je nach Strecke per pedes oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, versteht sich.

Keine Ahnung, ob die anderen am nächsten Tag genauso k.o. waren wie ich, aber ich vermute es mal. Keine Ahnung, ob wir uns irgendwann wieder begegnen, aber für einen Abend waren wir eine Clique und maximal 17 Jahre alt. Und wenn ich am Mona Lisa vorbeifahre, muss ich jetzt immer lächeln …

Fazit: Die besten Abende passieren ungeplant − auch und gerade mit fremden Menschen und wenn man noch so müde ist. Stay Crazy and curious!

Fünf Wochen Marseille – ein Experiment (II)

07 Donnerstag Jan 2016

Posted by anette quentel in Marseille, Reisen

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Blog, Marseille, Quentel

TEIL 2

Das erste Wochenende

Habe am Wochenende dann doch ein bisschen gearbeitet, obwohl das nicht der Plan war. Am liebsten wäre ich einfach nur hier geblieben und hätte aufs Wasser geguckt und mit den Möwen geredet, aber dann trieb es mich doch in die City, die nur 2 oder 3 Kilometer von meinem Viertel entfernt ist. Ich brauchte Lebensmittel (der Supermarkt hier hatte Inventur), Zigaretten, ein Messer, das schneidet, und ich wollte zwei blauen Tischdecken kaufen. Die orangefarbenen Dinger, die hier in dem ansonsten ganz in blau-weiß eingerichtet Häusi herumliegen, störten mein Farbempfinden. Außerdem wollte ich nach diesem Fischmarkt am alten Hafen schauen, an den ich mich von meinem letzten Marseille-Besuch erinnerte. Schon nach zehn Minuten stand ich im Stau. Derzeit wird eine schicke Promenade am alten Hafen gebaut. Das bedeutet eine Riesenbaustelle und nur noch eine Fahrspur – und am Samstagnachmittag wollen offenbar alle in die Stadt, genauso wie in Frankfurt halt. Umkehren ging auch nicht, weil Einbahnstraße… also Stopp-and-Go-te ich mich eine halbe Stunde bis zu einem Parkhaus am Hafen, dessen Fußgängerausgang auf einem anderen Platz lag als die Einfahrt. Ich merkte mir irgendein Museum zur Orientierung und zog einfach los. Irgendwo dahinten musste der Stadtkern sein …

… irgendwo schon, aber nicht da, wo ich hinging. Nach einer Weile fand ich mich in einer Wohngegend wieder, die in eine andere Wohngegend überging. Ja klar, ich hätte meine SCOUTeuse zu Rate ziehen können (mittlerweile funktionierte auch das Handy wieder – war diesmal nur ein Bedienungsfehler gewesen), aber im Grunde genommen gefiel mir das orientierungslose Herumlaufen. Ich atmete die Stimmung der Stadt und lernte so das tunesisch/marokkanisch/algerische, das türkische und das jüdische Viertel kennen. Mit SCOUT wäre mir das alles entgangen. Als ich genug hatte, suchte ich dann aber doch mit elektronischer Unterstützung den Weg zurück ins Zentrum, fand einen Carrefour und ein Tabakgeschäft, wo meine Zigaretten 7,50 Euro kosteten. Gut, dass ich nur auf dem Balkon und damit erheblich weniger rauche als in Deutschland. Einem Laden für Tischdecken bin ich nicht begegnet, aber man kann nicht alles haben. Im Carrefour hat ein kleiner Junge versucht, mir eine Hautcreme aus der Tüte zu klauen, die ich vorher in der Galerie Lafayette erstanden hatte – sehr befremdlich, zumal seine Mutter nicht etwa entsetzt war, sondern nur sehr cool meinte, er solle das doch bitte lassen. Nach dem anstrengenden Einkauf genehmigte ich mir in einem Straßencafé noch einen Pastis, gab mit 80 Cent offenbar zu viel Trinkgeld (die Kellnerin hat mich zwei Mal gefragt, ob ich das ernst meine) und machte mich dann auf den Heimweg. Der war bedeutend schneller erledigt als die Hinfahrt am Nachmittag, und ich war froh, wieder allein daheim zu sein. Im Moment brauche ich weder Trubel noch Menschen. Das Meer, der Himmel, die Möwen und ich sind mir genug.

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Die erste volle Woche

Der Schreibtisch war voll! … eigentlich zu voll, aber das war nicht zu ändern. Und drei Tage lang war es kalt … und windig … und wolkig … und wellig. Am Mittwoch saß ich mit zwei Strickjacken und Wollstulpen an Händen und Füßen vor dem einzigen Elektroheizkörper am Schreibtisch, und meine Nächte habe ich auf der Schlafcouch im Wohnzimmer verbracht. Erstens ist es hier oben wärmer und zweitens kann ich so beim Aufwachen den Himmel und das Meer sehen.

Die Waschmaschine funktioniert, meine Duschkopf-Stützkonstruktion hält. Das Badezimmer teile ich mit einer Kakerlake, vor denen ich mich aber noch nie geekelt habe. Weil sie sich nicht fangen ließ, habe ich friedliche Koexistenz beschlossen und sie angesichts ihrer veritablen Größe eines Namens für würdig befunden: Gregor. Ja, ich weiß, nicht besonders originell, aber passend, und ich mag Kafka.

Ich habe Antwort vom Siemens-Kundendienst: eine Gebrauchsanleitung in PDF-Format – sehr gut. Die orangefarbenen Tischdecken stören mich immer noch.

Das Haus habe ich nur zum Lebensmitteleinkauf verlassen und täglich 10 bis 12 Stunden am PC gesessen, unterbrochen von kleineren Pausen auf dem Balkon, der nachmittags ab etwa 15 Uhr in der Sonne liegt (wenn sie denn scheint). Dann kann ich im T-Shirt draußen sein (theoretisch auch ohne), und auch der Wohnraum heizt sich durch die große Fensterfront auf. Diese Wärme hält sich dann bis zum nächsten Morgen im Haus. Am Vormittag ist es immer kühl. Telefoniert habe ich quasi nur geschäftlich, leibhaftig gesprochen nur mit den Angestellten in den Läden, 5 Minuten mit einem der Nachbarn und am Donnerstag mit Celine, die zum Putzen kam – in High Heels, kleinem schwarzen Kleidchen und Lederjäckchen, dezent geschminkt, mit Fußkettchen am Knöchel und viel französischem Charme. (Zum Putzen hat sie sich aber umgezogen …) Ich kam mir ziemlich „basic“ vor in meinem Riesenpulli + Strickjacke über irgendwelchen Hosen + Wollsocken, ergänzt um die Stulpen und einen Schal, ungeschminkt und mit achtlos zusammengebunden Haaren. Im Vergleich zu mir wirkte sie irgendwie lebendig – eine seltsame Erkenntnis.

Ich bin gern allein. Der ganze Trubel daheim ist weit weg. Meine Kontakte nach Frankfurt beschränken sich auf den Austausch von Kurznachrichten mit einem Freund und dem Empfang ein paar privater E-Mails, die ich nur kurz beantworte. Auch seltsam. Eigentlich schreibe ich sonst immer ganze Romane. Ich arbeite so vor mich hin, lebe meinen eigenen Rhythmus, koche und esse, wenn ich Hunger habe, schlafe, wenn ich müde bin, trinke kaum Alkohol, rauche weniger. Aber ich bin fast durchgängig bei Facebook eingeloggt. Die Plattform ist zurzeit meine Verbindung zur Welt, so lächerlich das auch klingen mag. Ich poste zwar selbst fast nichts blättere aber in meinem News-Stream, nehme so passiv am Leben meiner FB-Freunde teil und markiere mit einem „Gefällt mir“, was mir gerade so gefällt. Mal lustige Dinge, mal schlaue Sprüche, mal Posts von befreundeten Theatergruppen … Ich merke aber auch, dass ich allmählich das Interesse an Bildchen, Sinnsprüchen, sozialverantwortlichen und politischen Statements verliere. Auch die Weltpolitik interessiert mich zurzeit nicht sonderlich. Meinen Info-Bedarf decke ich mit den Schlagzeilen der Google-News. Ich lese keine Tageszeitung- oder Wochenzeitschriften (allenfalls mal eine Kolumne), noch nicht mal den Spiegel und lösche die Branchen- und Frankfurt-E-Mail-Newsletter ungeöffnet. Am Abend zappe ich kurz durch die französischen TV-Programme, und ich habe mir über‘s Internet den Tatort angesehen. Ich werde mit jedem Tag ruhiger, und die Gedankenspiralen entwirren sich, werden zu trägen Flüssen. Ich finde die Ruhe für eine Bestandsaufnahme meiner „Baustellen“ und der vielen „Hochzeiten“, auf denen ich tanze.

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Das zweite Wochenende.

Der Kühlschrank war leer, und die orangefarbenen Tischdecken nervten allmählich wirklich. Zudem befürchtete ich, dass die Farbpatrone meines Druckers nicht bis zum Ende meines Aufenthalts hier durchhält. Das Ladegerät für die Akkus der PC-Maus liegt auch in Frankfurt. Dabei würde es jetzt hier gebraucht…. Ich musste also in die City oder zumindest mal in irgendein Einkaufszentrum mit Elektronikmarkt. Ich entschied mich für ein modernes Shopping-Center am neuen Hafen, den ich mir ohnehin mal ansehen wollte und für eine elektronische Wegweisung, die wunderbar funktionierte, weil mich das Programm um den Stau am alten Hafen herumführte. Nach einer Viertelstunde war ich am Ziel, fand auch einen Parkplatz in der x-stöckigen Tiefgarage, dessen Nummer ich mir sicherheitshalber notiert habe, bevor ich mich ins Gewühl stürzte. Toll an französischen Tiefgaragen sind die farbigen Lämpchen an der Decke (rot/grün/blau). So erkennt man mit einem Blick in eine Parkreihe, ob ein Platz frei ist oder nicht und sitzt nicht irgendeinem Smart oder Fiat 500 auf, deren Hecks man nie sieht. Blau steht übrigens für Behindertenparkplatz.

Das Einkaufszentrum war wie in Deutschland und eigentlich überall in Europa, nur die französische Fassung des Mediamarkts war schlechter sortiert. Ein Akkuladegerät war zwar aufzutreiben, Patronen für meinen Drucker leider nicht. Aber es gab einen Einrichtungsladen mit blauen Tischdecken. Wunderbar! Nachdem ich auch noch ein molliges Strickjackenmonster und ein Paar ziemlich hässliche aber wärmende Socken erstanden hatte (wer weiß, wann mich der Mistral wieder überfällt), warf ich noch einen Blick auf den Hafen selbst (unspektakulär) und freute mich über die gut ausgestattete Lebensmittelabteilung des Monoprix, wo ich dann gleich mal 50 Euro für lauter leckere Sachen gelassen habe, bevor ich mich wieder auf den Rückweg machte. Der gestaltete sich allerdings schwierig.

Die Ausfahrt aus der Tiefgarage war die erste Hürde. Ich muss den Bezahlautomaten übersehen haben, entdeckte aber dann, dass die Fahrer der ausfahrenden Autos Banking-Karten in den Händen hielten. Ich fragte eine junge Frau durch ihr heruntergekurbeltes Fenster, ob man tatsächlich an der Ausfahrt zahlen könne. Sie meinte, das ginge problemlos mit EC-Karte. Erst nach einer halben Stunde war ich am Ausgang (offenbar wollten jetzt alle Shopping-Center-Besucher nach Hause), um festzustellen, dass der Automat meine Karte nicht akzeptierte. Dunkel erinnerte ich mich an die Tankstellen an der Autobahn. Der freundliche junge Mann an der Schranke bestätigte mir meinen Verdacht. So erlebte ich dann mal das Gefühl, Verkehrshindernis zu sein: Zurückfahren ging nicht, also musste ich eine der beiden Ausfahrten mit meinem kleinen ausländischen Auto versperren und „händisch“ bei einer mit einem Menschen besetzten Kasse zahlen. Erstaunlich: keiner hat gehupt oder mich mit französischen Flüchen belegt.

Die zweite Hürde war die eigentliche Rückfahrt: Zuerst habe ich versucht, mich auf meinen Orientierungssinn zu verlassen (klappt in der Regel), muss aber an irgendeiner Stelle falsch abgebogen sein, so dass ich mich in einer total verstopften Einbahnstraße wiederfand: gefangen! Ich nutzte die nächste Gelegenheit zum Abbiegen und tastete mich weiter. Ich behielt immer im Kopf, wo die Küste war und dachte, so problemlos zurück zu meiner Eremitage zu finden. Weit gefehlt: Marseille ist die Nummer eins in Sachen Einbahnstraßen. Vielleicht hat dieser Wahnsinn ein System, aber das hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Nachdem ich das eine oder andere Wahrzeichen der Stadt 2 bis 3 Mal passiert hatte, hielt ich irgendwo an, um Scout zu befragen: Kein Netz, und ich hatte vergessen, die Frankreichkarte zu kaufen, was mir die Offline-Nutzung ermöglicht hätte. Also fuhr ich weiter, immer mal einen Stopp einlegend, bis ich eine Netzverbindung hatte. Dann war alles ganz einfach. Gelernt habe ich dabei, dass (1) man hier an der Ampel losfahren muss, sobald sie gelb blinkt, um ein Hupkonzert zu vermeiden, (2) man als Fußgänger einfach so die Straße überquert in der berechtigten Hoffnung, schon nicht überfahren zu werden und (3) das Reißverschlusssystem hier super funktioniert. Vielleicht kam mir aber auch mein ausländisches Kennzeichen zu Gute. Nach insgesamt einer guten Stunde Irrfahrt und einer weiteren Viertelstunde Parkplatzsuche war ich endlich wieder in meinem Häusi und brauchte erstmal eine Dosis Meer und Möwen, bevor ich meine Einkäufe verstaute. Der Austausch der Tischdecken war mir ein Fest!

Den Sonntag habe ich wechselweise auf dem Balkon, auf der Couch und in der Küche verbracht – auch mit Blog-Schreiben, denn das strukturiert die Gedanken zusätzlich und verhindert, dass ich diese Zeit hier rückblickend anders wahrnehme, als ich sie jetzt erlebe. Darüber hinaus habe ich einen literarisch recht wertlosen, aber sowohl romantischen als auch spannenden Roman gelesen, und es genossen. Und ich koche jeden Abend: Schreiben und Lesen entspannt und Gemüseschneiden hatte für mich schon immer etwas Meditatives.

Es wird wieder wärmer!

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Die zweite volle Woche.

Ich arbeite immer noch viel und lebe ansonsten zunehmend in meiner eigenen Welt, komme immer weiter runter und zur Ruhe, entferne mich zugleich aber auch allmählich vom „echten“ Leben, trotz Arbeit und dem einen anderen mehr oder weniger geschäftlichen Telefonat.

Seit Dienstag ist es jeden Tag ein bisschen wärmer geworden. Ich war wieder schwimmen, aber ansonsten diese Woche nur zwei Mal vor der Tür, und das auch nur zum Einkaufen und Müll entsorgen. Ich koche nach wie vor jeden Abend. Mein Facebook-Account bleibt immer öfter und immer länger geschlossen. Der anfangs noch regelmäßige Kontakt mit dem Freund besteht auch nicht mehr, aber das ist eine andere Geschichte. Gesprochen habe ich in den letzten Tagen mit kaum jemandem: ein paar Sätze mit einem Handwerker, der die Jalousie in der verwaisten Schlafhöhle repariert hat (verwaist, weil ich beschlossen habe, jeden Tag beim Aufwachen den Himmel sehen zu wollen und deshalb auf der Schlafcouch im Wohnbereich nächtige), „Guten-Tag-Bitte-Danke-Schönen-Abend“ beim Einkaufen und gestern ein kurzes Schwätzchen mit Celine, die hier wieder alles gesaugt, gewischt und die großen Fenster geputzt hat. Das muss man eigentlich fast jede Woche, weil das Meer vor der Tür mit Salz um sich wirft.

Habe „Freiheit“ von Jonathan Franzen gelesen – tolles Buch!

Dadurch, dass es hier so ruhig und ereignislos ist, nehme ich Veränderung in meiner direkten Umgebung stärker wahr. Vormittags mäandern immer ein paar Kormorane vor dem Balkon herum. Erstaunlich, wie schnell diese Dinger unter Wasser schwimmen können. Ihre Fliegerei ist dagegen eher bemitleidenswert. Mittlerweile glaube ich auch, erkennen zu können, in welcher Stimmung sich die Möwen gerade befinden. Sie schreien nicht immer gleich, sondern variieren von „zärtlich“ über „neugierig“ und „ein bisschen beleidigt“ bis hin zu „echt sauer“. Ich habe eine für mich neue Vogelart entdeckt, aber noch nicht näher bestimmt. Sie tönt ein bisschen wie Turmfalken. Nachts läuft manchmal irgendwo unten eine Ratte herum und fiept leise. Die Zikade vom Felsen nebenan ist weitergewandert oder ist das Opfer irgendeiner Nahrungssuche geworden. Mein gepanzerter Mitbewohner Gregor ist noch da, aber wir sehen uns selten. Er ist auch immer ein bisschen pikiert, wenn ich ihn überrasche, und da ich ein diskreter Mensch bin, mache ich jetzt abends immer zuerst das Licht an und warte drei Sekunden, um ihm die Chance zu geben, sich auf seinen Krabbelbeinchen unter den Waschtisch zu verziehen.

Mein Schlaf-Wachrhythmus verändert sich weiter. In den letzten zwei Tagen bin ich schon ganz früh eingeschlafen und war dafür um vier Uhr wach und ausgeruht. Um diese Zeit fallen immer ein paar Sternschnuppen vom Himmel, aber sie sind zu schnell, als dass ich mir etwas wünschen könnte.

Habe Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg von Jonas Jonasson gelesen – sehr lustig.

Ach ja: Jeder Sonnenuntergang ist anders!

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Ich bin noch immer gern allein. Heute ist Halbzeit, Zeit für eine Zwischenbilanz:

  • Eine Weile allein ohne den üblichen Trubel ist gut für die Seele. Das Meer und der Wind ordnen die Gedanken. Vieles relativiert sich.
  • Nicht reden zu müssen, tut gut.
  • Kochen macht mir immer noch Spaß. Habe ich den letzten zwei Jahren selten gemacht, werde ich aber wieder öfter tun. Mir schmeckt das Zeug, das ich koche.
  • Man kann auch ohne Spülmaschine leben, aber mit ist besser 😉
  • Bücher lesen entspannt. Dazu habe ich mir lange keine Zeit mehr genommen. Das wird sich ändern.
  • Keine Abendtermine zu haben, ist wunderbar. Das nimmt den Zeitdruck aus dem ganzen Tag.
  • Man kann frieren und trotzdem braun werden.
  • Ein Leben ohne Waage und Gewichtsstatistik ist prima. Mit der täglichen Wiegerei macht man sich unnötig Stress.
  • Alkohol ist überflüssig, aber ohne Zigaretten geht es aber im Moment nicht.
  • Bettwäsche auf einem wackeligen „Flügeltrocknet-Gestell“ aufzuhängen ist kein Spaß.
  • Wenn ich mal alt bin, will ich am Meer wohnen.

Meine Auszeit tut mir sehr gut. Nach heutigem Stand würde ich es hier noch eine Weile länger aushalten als ein paar Wochen, wenn man das Haus gescheit heizen könnte … Vielleicht sollte ich aber für jedes Jahr eine solche Zeit einplanen – oder mein Leben in Zukunft so gestalten, dass das gar nicht nötig ist: ein paar „Baustellen“ zuschütten und ein paar „Hochzeiten“ absagen.

Die dritte und vierte Woche

Das wird ein kurzes Kapitel. Ich ziehe mich immer weiter zurück, gehe alle zwei/drei Tage nach draußen, wenn der Kühlschrank leer ist, habe quasi nur noch geschäftlich Kontakt nach Deutschland. Die Tage sind gleichförmig und friedlich. Die Welt wird mir zunehmend egaler. Die Arbeit am PC, das Meer, das Wetter, die Möwen und die vorüberziehenden Boote und Fähren sind meine Unterhaltung. Ich schicke meine Gedanken spazieren – und ich lese Bücher.

Habe Aleph und Untreue (beide von Paolo Coehlo) und Der Horizont von Patrick Mondiano verschlungen. Bin in alle drei völlig abgetaucht.

Ich schreibe keine Blogtexte mehr. Es gibt ja auch nichts zu berichten und wenn man nicht gerade Goethe heißt, sind innere Monologe für die Leser meist langweilig. Morgen kommt meine Freundin für zwei Tage. Dann werde ich wieder reden müssen und vor die Tür. Ich freue mich sehr auf sie, bin aber auch gespannt, wie sich das anfühlt. Was ist, wenn ich den Mund nicht aufkriege?

Die letzte Woche

Das waren zwei sehr schöne und wichtige Tage. Wir haben viel geredet; mundfaul war ich allenfalls in der ersten halben Stunde. Und wir haben bei 21°C und strahlendem Sonnenschein ein kleines Touristenprogramm absolviert: Notre Dame de la Garde, in der vor allem die vielen kleinen Ölgemälde an den Wänden auffallen, den alten Hafen (hinter der Baustelle) einschließlich Riesenradfahrt, die Kathedrale, die so aussieht, wie Kathedralen nun mal aussehen, und am zweiten Abend ein Dinner in einem kleinen Hafen bei mir um die Ecke – Bouillabaisse, begleitet von Wein und gefolgt von einem Dessert. Hat uns so viel gekostet wie ein Degustationsmenu in einem 1-Sterne-Restaurant in Frankfurt. Aber egal. Lecker war’s. Am Sonntagmorgen habe ich sie zum Flughafen gefahren und danach den direkten Weg nach Aix-en-Provence eingeschlagen. Dort bin ich nach einem recht schlechten Croissant mit noch schlechterer Konfitüre einfach nur durch die Stadt spaziert und auf Märkten herumgestrolcht und habe alles auf mich wirken lassen.

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Zurück in meiner Eremitage habe ich mich zwei Stunden lang ein bisschen allein gefühlt, aber dann wieder meinen Rhythmus aufgenommen: arbeiten, Meer gucken, lesen, Gedanken spazieren schicken – eine letzte Woche lang.

Habe Die Frauen von T.C. Boyle und Ein ganzes halbes Jahr von Jojo Moyes gelesen.

Die Koffer sind gepackt und alle Entscheidungen getroffen (war am Ende ganz leicht). Morgen geht es zurück. Ein letzter Sonnenuntergang, zugegebenermaßen mit Tränen in den Augen, aber auch mit Riesenfreude auf die Menschen und Dinge, die mir wichtig sind. Wer und was das ist, weiß ich jetzt.

Die Rückreise

Abstecher nach Nîmes zu meiner Großcousine, von der ich bis vor einem halben Jahr gar nicht wusste, dass es sie gibt. Aber es gibt sie – und sie ist bombennett. Nach einem formidablen Bœuf Bourguignon und anderen französischen Köstlichkeiten mache ich mich auf den Weg gen Nordwesten. Das Tanken erledige ich mittlerweile sehr souverän, halte wie selbstverständlich die Geschwindigkeitsvorgaben ein und bemerke die Dauerblinker kaum noch. Ich lasse die letzten Wochen Revue passieren, im Radio läuft Musik des Sohnes meiner Großcousine, der Mitglied einer Band namens Fysh ist: Metal, aber mit erkennbaren Melodien. Die Fahrtroute habe ich ausgedruckt, falls meine SCOUTeuse mal wieder eine Auszeit nehmen sollte … genau das tut sie auch. Und ich bin so in Gedanken, dass ich Basel mit Genf verwechsle und prompt auf der falschen Autobahn lande. Vor irgendeinem nahenden Autobahnkreuz halte ich auf dem Standstreifen, um mich zu orientieren. Ja, ich weiß schon, dass das verboten ist, aber was sollte ich denn machen … Wie sich herausstellt, bin ich völlig falsch und habe mir mit meiner Gedankenduselei einen Umweg von 150 Kilometern eingebrockt. Jetzt passe ich besser auf und komme tatsächlich ohne weitere Fehlfahrten in Besançon an, wo ich in einem Motel die Nacht verbringen will.

Der Portier ist noch da, aber das Restaurant geschlossen, und ich habe Hunger! Also wieder ins Auto und rein in die „City“, wo ich mich in einer Straße wiederfinde, die ein bisschen an die hintere Zeil erinnert. Es gibt diverse Imbisse und einen Pizza-Hut-Takeaway. Ok, so hungrig bin ich dann vielleicht doch nicht. Kurz bevor ich aufgeben will, stoße ich auf einen kleinen Italiener: ganz einfach eingerichtet, aber mit einem Holzofen und fast vollbesetztem Gastraum. Nach der üblichen blöden Frage „Table à deux?“ – sehen die eigentlich alle doppelt? Ich bin allein! – bekomme ich einen der letzten Tische. Der Wein ist so „na ja“, aber die Spaghetti Arrabiata sind sensationell. Ich gönne mir noch ein hausgemachtes Tiramisu, das locker für eine sechsköpfige Familie gereicht hätte und so viele Kalorien hat wie zwei Portionen Currywurst mit Pommes weiß. Weil mir das aber gerade sehr egal ist (hatte ja wochenlang keine Waage und habe keine Ahnung, welchen Schaden das regelmäßige Essen in Marseille angerichtet hat), verputze ich das ganze Dessert, rolle mich zurück in meinen Kleinwagen und falle eine halbe Stunde später auf meine Motel-Schlafstatt. Nach dem morgendlichen Auschecken und einem klassischen Motel-Frühstück geht es zurück auf die (richtige!) Autobahn und weiter gen Frankfurt.

Fazit (ein paar Wochen später)

Es war eine gute und wichtige Zeit, aber sie hat mich stärker aus dem Alltag geworfen als ich vorher vermutet hätte. Die Wiedereingewöhnung ist mir schwergefallen. Nachdem ich von der Überholspur direkt auf die Standspur gewechselt hatte, konnte ich mich nicht wieder zum Einfädeln entschließen. In der ersten Zeit habe ich mich so gut es ging zuhause verkrochen, das Haus fast nur verlassen, um ins Büro zu gehen. Ich glaube, ich habe versucht, mein „Marseille-Gefühl“ zu verlängern. Ganz allmählich habe ich aber wieder Fahrt aufgenommen, zunächst auf der Kriechspur, später im Normaltempo. Auf die Überholspur will ich nicht zurück. Muss ich auch nicht J

Würde ich es wieder tun? Ja! Innezuhalten, sich mal rauszuziehen aus allem, um an einem anderen Ort, vor allem am Meer, zu leben und zu arbeiten, ist wunderbar. Es klärt die Gedanken, relativiert Vieles und ohne Druck fallen Entscheidungen von allein. Man muss sie nicht gewaltsam fällen.

PS: Meine Waage zuhause hat ein Machtwort gesprochen. Die drei Kilo, die ich dank der regelmäßigen Zufuhr leckerer, aber kalorienreicher Mahlzeiten zugelegt habe, werden gerade entschieden abgebaut.

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Fünf Wochen Marseille – ein Experiment

31 Samstag Okt 2015

Posted by anette quentel in Marseille, Reisen

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Anette Quentel, Blog, Marseille

TEIL 1
Warum ich bin, wo ich bin

Die Sonne geht unter – quietschpink und rotfeuerlich. Unter mir grummelt und ploppt das Meer, in den nahen Felsen wohnt eine Zikade, neben mir momentan zwei Männer im „besten Alter“, die Opernarien hören.

Ich bin allein – weil ich das so wollte, allein in einem Land, dessen Sprache ich nur rudimentär beherrsche, an einem Ort, der mir das Gefühl vermittelt, auf dem Meer zu leben. Und heute, am fünften von 32 Tagen, bin ich mir sicher, dass es eine gute Entscheidung war, hierherzukommen.

Im Mai, als mir nach eineinhalb sehr turbulenten Jahren das Leben und mein Gefühlschaos in fieser Kumpanei endgültig über den Kopf zu wachsen drohten, habe ich kurzentschlossen diese Fischerhütte gebucht direkt am Meer. Overworked, underloved, underslept und underfed. Gefangen in (zugegebenermaßen größtenteils selbstauferlegten) Pflichten und immer unterwegs zu irgendeinem Termin oder Event wollte ich nur noch weg – von allem und allen. Ich erinnerte mich an das Buch „Das große Los“ der Journalistin Meike Winnemuth, die nach einem Millionengewinn bei Günter Jauch ein Jahr lang jeweils einen Monat lang in einer anderen Stadt auf dieser Welt gewohnt hatte. Diese Idee hatte mich nie ganz losgelassen. Einen Millionen-Gewinn habe ich zwar nicht im Rücken, aber weil wir in einer Welt der unendlichen Erreichbarkeit legen, kann ich überall arbeiten. Genug Geld für die Fahrt und ein paar Wochen lang doppelte Miete ist auch da.

Seit der Buchung im Mai hat sich vieles relativiert, geklärt, geändert, auch verbessert, aber ich lebe immer noch auf der Überholspur. Deshalb musste und wollte ich diese Reise machen. Der Gedanke, ein paar Wochen am Meer zu leben, ist einfach nur berückend. Außerdem will ich wissen, wie es sich anfühlt, wirklich allein zu sein, keine Kompromisse eingehen zu müssen und (abgesehen von den Abgabeterminen meiner Projekte) keine Termine zu haben … eine Mischung aus „Mal was anders machen als sonst“ und Selbstversuch: ein Experiment. Ich bin gespannt, was und wer mir wirklich fehlen wird und, um es mal im Psycho-Jargon zu sagen, was das so mit mir macht. Heute ist zwar alles besser als noch vor einem halben Jahr, aber meine alte Gelassenheit und die Fähigkeit, immer alles positiv und mit Humor zu betrachten, haben sich noch nicht vollständig wieder eingestellt. Vielleicht finde sie hier wieder.

  1. Reisetag

Am Vormittag ging‘s los. Mit Vorfreude, aber noch in Abschiedsgedanken machte ich mich auf den Weg. „Du denkst zu viel nach. Das ist nicht gut“, sagt mir ein kluger Mensch immer mal wieder. Dass er Recht hat, zeigt sich schon darin, dass ich in Frankfurt gleich zweimal die richtige Auffahrt verpasst habe und eine halbe Stunde auf den diversen Autobahnen herumgekurvt bin, bevor ich auf der A5 gen Süden war. Bis Lyon wollte ich kommen, dort übernachten und die letzte Etappe am Mittwoch fahren. Auf den Tankstellen in Frankreich habe ich gelernt, dass es Zapfsäulen gibt, die mit Kartenzahlung funktionieren, allerdings weder mit Visa noch mit meiner Sparkassen-Maestro-Karte … an anderen Säulen darf man einfach lostanken und an der Kasse zahlen. Das waren dann meine. Auf den Autobahnen selbst habe ich gelernt, dass Franzosen gerne mal blinken, auch wenn sie nicht die Spur wechseln wollen. Irgendwann habe ich ein Gefühl dafür entwickelt, wann ein Blinken ernst zu nehmen ist und wann nicht. Und wie französische Blitzgeräte aussehen, weiß ich jetzt auch … bin gespannt, ob die mich ausfindig machen. Die Straßen waren fast frei, vor allem die Mautstraßen (ein Luxus, der mich etwa 60 Euro kostete) … na ja, fast frei: Kurz vor Lyon erwarteten mich der Feierabendstau, ein Tunnelbaustellenstau, ein Unfallstau und in der Stadt selbst geriet ich in einen sintflutartigen Regen, der für zehn Minuten alles zum Erliegen brachte. Ich hatte kein Hotel gebucht – wusste ja nicht, ob ich es bis hierher schaffen würde – und fuhr ein bisschen orientierungslos herum. Den Gedanken, über irgendein Portal zu suchen und online zu buchen, musste ich aufgeben: kein Netz, was ich erstmal auf Vodafone schob. Einen Parkplatz in der City vor einem Mercure-Hotel nahm ich dann als Wink des Schicksals und blieb. Die Übernachtung kostete mich ein kleines Vermögen, aber das war dann auch schon egal. Das Hotel-WIFI funktionierte so halb gut, und nachdem ich die aufgelaufenen knapp 100 Mails gescreent und festgestellt hatte, dass keine eine sofortige Aktion erforderte (danke Ralf J), ging es mir sofort besser. Ich fand ein kleines Restaurant in der Nähe und genehmigte mir ein 3-Gänge-Menu mit politisch total inkorrekter Foie Gras, allerdings gefolgt von Bio(!)-Rind und einer sehr unfranzösischen, aber traumhaften Panna Cotta, begleitet von einem Pastis und einem Glas Landwein, das besser war, als der Inhalt so manchen 15-Euro-Fläschchens zuhause. Dass ich nach gut 7 Stunden Autobahn und diesem kulinarischem Abschluss einigermaßen erschöpft um 22 Uhr in die Luxuskissen sank, bedarf sicher keiner Erklärung.

  1. Reisetag

Am Morgen sah die Welt gut aus. Das Auto war noch da, die Rückspiegel noch dran und Knöllchen hatte ich auch keins. So gegen 9 Uhr war ich auf der Bahn. Die Landschaft wurde immer mediterraner und alle halbe Stunde stieg die Temperatur um etwa 1 Grad. Gegen Mittag war ich am Ziel – bei 21 Grad, Sonnenschein, heftigem Wind, aufgewühltem Meer und gut zwei Stunden zu früh. Um drei sollte ich den Schlüssel bekommen. Also saß ich erstmal eine halbe Stunde auf einer Aussichtsplattform direkt neben meiner zukünftige Bleibe herum, las die Geschichte des Chateau d’If und sog das wilde Meer und die Sonne in mich auf, um dann die Gegend zu erkunden, in der ich die nächsten knapp fünf Wochen verbringen sollte. Ich entdeckte einen Bäcker, einen Metzger, ein Blumengeschäft, ein paar Lokale sowie einen kleinen und einen sehr kleinen Supermarkt – alles da was man so braucht! Nach einem Snack war es fast drei; ich also zurück zum Treffpunkt.

Corinne kam, mein Kontakt für die Übergabe: „Hi, I am Corinne, are you … Anette?“ – „Yes“. – “Don’t you have any luggage?” – Of course, but still in the car.” Handshake. „Do you speak French?” – „Pas assez bien, je crois” – „Ok, we do it in English. I show you the house.” Sprach’s und ging auf eine verrostete Gittertür am Ende der Aussichtsplattform zu, die sicher schon die ganze Zeit da, mir aber gar nicht aufgefallen war, bewaffnet mit einem gut bestückten Schlüsselbund. Der rote Schlüssel war für diese Tür, die immer doppelt abgeschlossen sein musste (rot = rostige Tür, kann ich mir merken). Hinter der Tür führten (wie ich mittlerweile gezählt habe) gut 60 ebenso steile wie ungleichmäßige Treppenstufen in die Tiefe. Der runde Schlüssel war für die nächste Tür, die ebenfalls immer zwei Mal abgesperrte werden musste (runder Schlüssel – rundes Schloss, kann ich mir auch merken). Wir standen auf einem etwa 2 Meter breitem Weg: rechts drei Fischerreihenhütten, links, in etwa 5 Meter Tiefe, das Meer. Gleich die erste Haustür war meine. Der schwarze Schlüssel war für die elektrische Jalousie, für deren Betrieb man aber einen Trick anwenden muss (schwarzer Schlüssel plus Trick = graue Jalousie, na, ob ich mir das merken kann?). Der eckige Schlüssel gehörte zur eigentlichen Haustür, die man zwar einfach aufschließen kann, aber deren Verschluss mit einem anderen Trick verbunden ist (eckiger Schlüssel plus Trick ….). Offenbar schaute ich ein bisschen verwirrt … „No problem, you will learn that soon“, sagte sie und entschwand im dunklen Haus. Ich folgte ihr. Was sonst.

Sie führte mich in ein stockdunkles Räumchen. „This is the sleeping room.“ Der Holzladen des Fensters war kaputt und ließ sich nicht an der Hauswand befestigen, so dass sie mir empfahl, ihn immer geschlossen zu halten. Wie jetzt: Ich soll ich in einer Höhle schlafen? No way, dachte ich, sagte aber erst mal nix; den ollen Holzladen würde ich schon in den Griff bekommen. Dann meinte sie, ich solle das Fenster immer gekippt lassen, weil es im Haus ein Feuchtigkeitsproblem gäbe. Ach ja, interessant. Dann zeigte sie mir zwei Wandschränke. Der kleinere in der Schlafhöhle war zu 60% mit Decken und Kissen befüllt. „Here is space for your things“ 40% der Regalfläche sollten also mir gehören. Ok, das dürfte für Kleinkram, Hosen und T-Shirts reichen, dachte ich. Es gab ja noch den großen im Eingangsbereich, den sie aber irgendwie gar nicht erwähnte. Auf meine Frage meinte sie. „Oh, this one is full of things of the owner. Better don’t touch. The doors are broken anyway.” Nö, nö, nö, so ginge das nicht, sagte ich. Ein bisschen widerstrebend öffnete sie sehr vorsichtig den rechten Teil des Schranks, wies mir eine leere Kleiderstange direkt über dem Putzzeug zu und bläute mir nochmals ein, wie fragil das Teil sei und dass ich sehr vorsichtig sein müsste. Ich war’s erstmal zufrieden. Sie sprang die enge Treppe nach oben. Dort sollten das Bad und der Wohn-/Kochbereich sein. Waren sie auch. Auch hier alles dunkel. Sie tastete sich durch den Raum drückte den Jalousienknopf und da war er: der Blick, der mich für alle Seltsamkeiten entschädigen sollte, die ich bisher gesehen und von Corinne gehört hatte. Himmel, Wasser, Sonne, Chateau d’If und ein paar weitere Inseln und Felsen, Möwen, Wellen, Boote … wunderbar! Ich begutachtete den Balkon und stellte fest, dass er eine Flucht mit der Felsenküste bildete und ich gefühlt über dem Meer schwebte (siehe Titelbild). Und weil meine Hütte eine Eckehütte ist, war auch der Blick nach rechts frei. Ja, hier wollte ich bleiben und sein. Nachdem ich mich ausreichend begeistert hatte, zeigte sie mir die Kochecke (Deckenhöhe max. 1,80) und erklärte mir, dass die Spülmaschine nicht funktioniere, wohl aber der Kühlschrank und die beiden Elektroplatten, und dass es eine Mikrowellen-/Ofen-Kombination gäbe. Die Begutachtung des Badezimmers ergab, dass der Waschtisch nebst Regalen neu, aber der Rest so etwa zehn Jahre alt war − und ja, es gab in dem Haus ein Feuchtigkeitsproblem, wie ich unschwer an den Fugen der Dusche erkennen konnte. Außerdem hängt der Duschkopf schlaff in einer ausgeleierten Halterung herum. Um ein fünfwöchiges einhändiges Duschen zu vermeiden, würde ich da wohl was basteln müssen. Der im Internet angekündigte „Wäschetrockner“ ist so ein Flügelteil auf dem Balkon … aber all das konnte mir die Laune nicht verderben. Ich sah nur noch das Panorama und so Sachen wie das witzige Bullauge in der Badezimmerwand, durch das man in den Wohnraum und aufs Meer gucken kann, hörte Wind, Wellen und Möwen …

Ich erfuhr noch, wo die Gebrauchsanleitungen und die Notfallnummern lagen, erhielt mein persönliches Paket Toilettenpapier nebst einer Flasche Kokosduschbad und die Einladung, mich an den Vorräten zu bedienen, die noch vom Vormieter dastanden: Nudeln, Tee, Kaffee, Essig, Öl, etc. Wir tauschten E-Mail-Adressen aus, verabredeten drei Putz- und zwei Handwerkertermine und ich zahlte meine Restmiete plus Kaution. Dazu musste ich ans Auto. Als Corinne erfuhr, dass ich „so viel“ Geld im Auto an der Straße gelassen hatte, fiel sie fast aus allen Wolken. Aber nach drei Türen und dem Hinweis, dass alle mehrfach abgeschlossen werden müssen, hätte ich mir auch gleich denken können, dass die Gegend nicht die sicherste der Welt war. Na, jedenfalls war noch alles da, und nach einem kurzen Schwätzchen, bei dem ich unter anderem erfuhr, dass der Müll einfach unsortiert in irgendeinen der Container am Straßenrand geworfen wird, und nachdem ich noch schnell verifiziert hatte, dass das Wasser lief, die Lampen leuchteten und WIFI funktioniert, war Corinne weg und ich allein in „meinem“ Häuschen. Ich fand einen Aschenbecher und trank einen ersten Kaffee auf dem Balkon. Im Haus soll nicht geraucht werden. Finde ich vernünftig.

Jetzt stand Auto ausräumen auf dem Programm. Wie ich den 22kg-Koffer die Treppen runtergekriegt habe, weiß ich nicht mehr und an den Auszug in knapp fünf Wochen wollte ich gar nicht erst denken. Aber nach 20 Minuten war alles im Haus. Ich inspizierte noch mal den Stauraum, stellte fest, dass der Platz reichte, wenn ich ein bisschen umräumte und goss die bemitleidenswerte Yukka-Palme im Wohnzimmer – erstmal ganz vorsichtig: Verdurstende sollen ja in kleinen Schlucken trinken … Der E-Mail-Check ergab, dass ich heute nix mehr tun musste, aber morgen den Tisch voll haben würde. Fein. Nachdem ich ein paar meiner versprochenen „bin angekommen, alles bestens“ in die Welt geschickt hatte, war es 18 Uhr geworden. Zeit, den vorher entdeckten Einzelhandel zu testen. Ergebnis: Der Verkäufer in der Metzgerei ist Italiener und meint, mein Französisch sei besser als seins, die Kassiererin im Supermarkt ist vor allem mal müde, aber nett und die junge Frau beim Bäcker ist einfach eine junge Frau beim Bäcker. Alle Läden sind gut sortiert. Die Pasteten vom Metzger, der auch eine ordentliche Käseauswahl bietet, und diese Petits Fours aus der Bäckerei werden mein Figurruin sein, wenn ich mich nicht diszipliniere. Ach, ich habe ja noch gar nicht erwähnt, dass es hier keine Waage gibt – und das mir, die seit April 2010 Jahren eine tagesgenaue Gewichtsstatistik führt … Bepackt mit französischen Lebensmitteln kehrte ich in mein Zuhause auf Zeit zurück – sehr zufrieden mit der Welt und mit mir. Die Reparatur des Fensterladens vor der Schlafhöhle verschob ich auf den nächsten Tag. Den Abend verbrachte ich mit einem kalten Dinner (frisches Baguette und diverse Leckereien aus den Fachgeschäften) und damit, durch gefühlte 30 französische Programme zu zappen, um mich aber schnell in meine Dunkelkammer zurückzuziehen und begleitet vom Meeresrauschen einzuschlafen.

Die ersten beiden Tage in der Eremitage

Am Donnerstag und Freitag habe ich vor allem mal gearbeitet – viel gearbeitet. Schließlich war ich zwei Tage im Verzug. Aber alles ging leicht von der Hand, unterbrochen von ein bisschen Facebooken und Buch lesen: The Circle von Eggert. Meine Güte, wann habe ich das letzte Buch gelesen. In den letzten Monaten war ich froh, wenn ich den Spiegel geschafft habe. An ein Buch war nicht zu denken. Aber keine Abendtermine zu haben, bedeutet auch eine andere Zeiteinteilung und Muße, zwischendurch mal eine halbe Stunde Pause zu machen – ein völlig neues Gefühl. Gefällt mir gut.

Schließlich machte ich mich an die diversen Reparaturen: Den Duschkopf habe ich mit einem Streifen Pappe in der Halterung befestigt – geht. Der hölzerne Fensterladen hält jetzt an der Hauswand, nachdem ich ihn mit einer herumliegenden Kombizange festgeklemmt habe: natürliches Licht in der Schlafhöhle! Am Mittwochabend hielt ich den Türknopf vom Badezimmer in der Hand. Das habe nicht wieder hingekriegt, so dass ich ihn nur wieder aufgesteckt habe und jetzt eher nicht betätige. Sollte ich mich aus Versehen im Bad einsperren, hätte ich nämlich ein Problem … Das kombinierte Mikrowellen-/Ofengerät bleibt vorerst ein Rätsel. Als Ofen funktioniert es, als Mikrowelle nicht. Habe einen Hilferuf an den Siemens-Kundendienst mit der Bitte um Zusendung einer Gebrauchsanweisung gemailt … bin sehr gespannt.

Wasser 1

Ich war im Meer schwimmen! Der Weg zum „privaten Meerzugang“ führt durch zwei Tore und über vielleicht 20 Meter unebenes Gelände, das ein bisschen an eine Baustelle erinnert, aber wohl immer so aussieht. Das Wasser war klar und kühl, aber noch warm genug und Neptun ein freundlicher Gastgeber. Abends habe ich für micht alleine gekocht, seit ewigen Zeiten mal wieder. Gefällt mir auch. Wird wieder eingeführt.

Fortsetzung folgt

„Tristan“ im Kino

10 Montag Aug 2015

Posted by anette quentel in People & Places, Tristan

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Blog, Kino, Oper, Quentel, Tristan, Wagner

Eigentlich ein seltsamer Gedanke, sich eine Oper im Kino anzusehen, denn Oper ist neben der Inszenierung ja vor allem Mal Klang. Und für mich ist ein Opernbesuch auch immer ein Event: sich mal richtig schick machen, am besten in aller Ruhe mit ein bisschen klassischer Musik aus der Dose im Hintergrund, ein wenig Farbe im Gesicht, die kleine Handtasche mit dem Nötigsten statt des „Lieblingssacks“ mit allem, das etwas schwerere Parfum, die Hochhackigen … na, ein Event eben. Und Oper hat eine ganz eigene Atmosphäre. Dazu gehören neben dem Gläschen Sekt in Vorfreude auf das Besondere und die Auswahl der Pausenhäppchen auch die herausgeputzten Leute im Foyer, der Blick auf die Musiker in den Orchestergraben, das leise Gemurmel, wenn der Saal sich füllt, und dann, nach dem Willkommensapplaus für den Dirigenten, der Moment, an dem es still wird und man ganz flach atmet vor lauter Spannung, bevor der erste Ton anhebt und der Vorhang den Blick auf das Eröffnungsbild freigibt – wunderbar!

Nun also erstmals Oper im Kino um die Ecke, weil meine Neugier auf die diesjährige Bayreuther Neuinszenierung so groß ist und es für dort keine Karten mehr gab. Und weil Tristan & Isolde „meine“ Oper ist: eine Musik, die schon in der Ouvertüre mein Hirn ausschaltet und in mir so ziemlich alles zum Klingen bringt, was da so klingen kann und eine Story, die mich immer wieder mittig trifft …

Schon im Vorfeld habe ich herumgewitzelt und mir ausgemalt, wie sich die Wagners gigantische Musik wohl in einem so profanen Umfeld wie einem Großkino ausmachen würde. Wagner nach Eiscreme- und Sportschuhwerbung; der Liebestod zwischen diesen kleinen fettigen dreieckigen Chipsdingern und 2,5-Liter-Pappbechern mit Cola: Ob der Zauber der Musik alldem wohl standhalten kann? Für mich war’s ein Experiment.

Bildquelle: flickr © ScypaxPictures

Quelle: flickr ©ScypaxPictures

Nach einem kurzen Weg bei 38°C erwartete uns im klimagekühlten Kino ein abgetrennter Bereich mit schwarz verhüllten Stehtischlein und einer Bar mit Sekt und Wein in echten Gläsern, vertrieben von einer jungen Frau ebenfalls in schwarz mit einem niedlichen neobarocken Band im Haar. Gut, die Softgetränke wurden in Flaschen mit Strohhalm gereicht … aber offenbar war man sich seitens der Kinoleitung doch der Besonderheit dieser Vorstellung bewusst und tat sein Bestes.

Um 16 Uhr hebt sich üblicherweise der Vorhang in Bayreuth, und im Kino sollte zuvor ein „kinoindividuelles Vorprogramm“ gezeigt werden. Also fanden wir uns um 15 Uhr 45 im Kinosaal ein, bewaffnet mit einem Fläschchen Evian und zusammen mit etwa 50 anderen Menschen, die offenbar auch keine Karte für Bayreuth bekommen hatten. Vielleicht haben sie auch nur die hohen Ticketpreise gescheut oder ziehen es vor, sich ganz leger dem Musikgenuss zu ergeben. Ein buntes Grüppchen hatte sich da zusammengefunden. Outfitmäßig war vom dunklen knöchellangen Kleid plus Perlenkette bis zu kurzen Hosen plus Badeschlappen alles vertreten, und es gab sowohl Männerpaare als auch Singlemänner, Heteropaare und Singlefrauen – Altersdurchschnitt etwa 60.

Im Saal selbst keine Spur von Vorprogramm. Aus den Lautsprechern klang Elektropop, was mich leicht grummeln ließ. Um 16 Uhr erste fragende Blicke und mehr oder weniger launige Mutmaßungen: Sind die in Bayreuth spät dran? Hitzeprobleme? Filmvorführerstreik? Um 16 Uhr 05 wurde das Gemurmel zunehmend lauter und ungehaltener. Der Vorhang blieb zu, der Elektropop begann echt zu nerven. Mir reichte es. Ich wollte wissen, was los war. Auf mein Klopfen an die Techniktür öffnete ein junger Mann, der sich um Gelassenheit bemühte und erklärte, das Signal aus Bayreuth käme nicht. Meinen Hinweis, dass man uns gerade der Ouvertüre beraube, quittierte er mit einem fragenden Blick (Uwer…was?) und meinte dann, er beraube uns gar nix, aber sie würden alles tun, damit die Verbindung zustande käme. Er klang glaubwürdig. Ich blieb freundlich. Zurück im Saal habe ich den übrigen Wartenden mal die Information weitergegeben, was die Stimmung etwas besänftigte. Menschen wollen, dass alles klappt, und wenn es denn mal nicht klappt, wollen sie wissen warum. Und sie wollen hören, dass man sich bemüht, damit es endlich klappt. Kleiner Tipp an die Kinoleitung (und alle Veranstalter dieser Welt): Redet mit Euren Zuschauern, wenn mal etwas schiefgeht! Ach, und danke für den Gratis-Pausensekt als Entschuldigung für den fehlenden Anfang – nette Geste …

Quelle: flickr ©David Rouhani

Quelle: flickr ©David Rouhani

Noch bevor sich wieder echter Unmut ausbreitete, stand die Leitung. Wir waren endlich live in Bayreuth zugeschaltet, hatten allerdings die erste Viertelstunde verpasst. Sehr blöd, aber nicht zu ändern. Eingestiegen sind wir kurz nach dem Lied des Seemanns, bevor Isolde ihre Vertraute Brangäne zu Tristan schickt, um ihm zu sagen, dass sie ihn sprechen will. Die Akustik war recht grausig, aber das habe ich erstaunlich schnell verdrängt – dank der Macht der Bilder und weil der Tristan bei mir offenbar auch leicht „verrauscht“ funktioniert. Das Bühnenbild des ersten Akts: ein gigantisches recht dunkles Labyrinth aus Treppen, die zum Teil wegklappten und hoch- und runterfuhren. Es versinnbildlichte, dass Tristan und Isolde nicht zueinander kommen können. Ein paar Kritiker hat das an Escher erinnert, mich eher an ein Gewirr aus Feuertreppen, wie man sie in amerikanischen Filmen manchmal sieht.

Feuertreppe

Quelle: flickr ©krss.

Das besondere waren aber die Close-ups und unterschiedlichen Kameraeinstellungen. Statt der ewigen Totalen im Opernhaus gibt es eine Bildregie, die den Blick lenkt. Das ist gut, aber auch schlecht. Gut, weil man die Bühne aus ungewöhnlichen Perspektiven sieht und weil die Kamera Details preisgibt, die sonst verborgen bleiben. Das kann Stimmung erzeugen, zum Beispiel, wenn sich zwei Hände aufeinander zubewegen und sich am Ende dann noch nicht berühren, oder wenn sich Blicke zögernd finden. Außerdem erzwingt es den Blick auf das Spiel der Sänger, auch der kleineren Rollen und Statisten. Das gibt der Oper eine zusätzliche Dimension. Es funktioniert allerdings nur, wenn die Sänger nicht nur singen, sondern auch spielen können. In Bayreuth konnten das die meisten – vor allem Tristan und Marke spielten sehr ausdrucksstark, ohne zu übertreiben. Auch die kleinen und stummen Rollen waren immer konzentriert „in der Szene“.

Manchmal ist dieses Genau-hinsehen-können aber auch kontraproduktiv. Opern sind nun Mal auf Abstand inszeniert. Bei Close-ups wirkt deshalb die Mimik oft zu groß, grotesk und unfreiwillig komisch. Das war bei der Isolde ab und zu der Fall, aber sie ist ja auch erst vor ein paar Wochen eingestiegen … und an ihrem Gesang gab es nichts auszusetzen. Bei Brangäne sorgten die Nahaufnahmen dafür, dass man ihren „S“-Fehler nicht nur hörte, sondern auch sah, aber auch sie hat wunderbar gesungen, ebenso wie Tristan und Marke. Doch zurück zum Kinoformat:

Ein weiterer Nachteil der Close-ups ist, dass sie Bühneneffekte entzaubern. So sah man im zweiten Akt, wie Tristan und Isolde auf einen Knopf drückten, damit aus Eisenstäben „Blut“ auf ihre Arme floss. Selbst aus der 1. Reihe in Bayreuth wäre die Illusion erhalten geblieben, dass sie sich mit den Stäben verletzen. Und im dritten Akt löst eine der „Isolden“ aus Tristans Fiebertraum mit einem Gerät in der rechten Hand einen Blutstrom aus ihrem Kopf aus, was ohne das Wissen um die Technik sicher ein toller Effekt gewesen wäre.

Quelle: flickr © Canadian Opera Company

Quelle: flickr ©Canadian Opera Company

Ein echtes Plus der Kinoübertragung war das Rahmenprogramm. Den ersten Teil haben wir ja verpasst, aber vor dem zweiten und dritten Akt gab es Interviews mit der Regisseurin Katharina Wagner, Requisiteuren, Bühnenbauern, einem jungen Sänger (sehr sympathisch) und dem Kostümbildner. Er nannte die Kostüme zeitlos, und das waren sie auch. Für meinen Geschmack hätten sie ein bisschen mehr Power haben dürfen, vor allem angesichts des durchstrukturierten Bühnenbilds. Aschgrüne, aschblaue und aschgelbgrüne eher grobe Stoffe haben sie hergenommen, und der armen Brangäne hat man ein Gewand angezogen, das für eine Frau mit Kleidergröße 40+ nicht unvorteilhafter hätte sein können – erinnerte sehr einen weiblichen Troll.

Das Interview mit dem Christian Thielemann war besonders aufschlussreich. Er berichtete, er sei lange Jahre um den Tristan „herumgeschlichen“ und in der Vorbereitung der Inszenierung immer wieder versucht gewesen, sich von der Emotionalität, der Expressivität und den Exzessen von Musik und Sujet mitreißen zu lassen. In Zusammenarbeit mit der Frau Wagner sei es ihm gelungen, den „Tiger“ in Schach zu halten. Nach dem Interview mit der schnodderigen, pseudocoolen, schrabbelstimmigen Regisseuse mit „ig-Fehler“ konnte ich das gut nachvollziehen – und fand es zugleich sehr schade. Mir haben nämlich an der einen oder anderen Stelle die Exzesse gefehlt, sowohl im Dirigat als auch auf der Bühne. Diese expressivste aller Musiken erzählt die Geschichte einer von Anfang an zum Scheitern verurteilten, aber unkaputtbaren Liebe, die Tristan und Isolde entgegen aller Vernunft und allen besseren Wissens aufeinander zutreibt, wohl wissend, dass sie zum Schaden beider ist. Das schreit förmlich nach Exzessen. Ein zweiter Akt, vor allem ein „Sink hernieder, Nacht der Liebe“ fast ohne Berührungen und ein zurückgenommenes Orchester werden dem nicht gerecht. Sehr bezeichnend, dass die Wagnerin Tristan und Isolde den (aus lichttechnischen Gründen pinkfarbenen) Liebestrank nicht trinken, sondern über ihre ineinander verschränkten Hände schütten lässt: kein Zauber, keine künstlichen Exzesse. Mag auch sein, dass die Laborsituation im 2. Akt nicht dazu gereicht, sich körperlich näher zu kommen. (Ja, ich weiß, die Kritiker sagen alle, es sei eine Folterkammer, aber für mich ist es ein Laborkäfig mit „Hamsterspielzeug“). Wie auch immer: Die Musik und das Libretto sprechen eine andere Sprache. Da werden Gipfel erklommen und Täler durchlitten, und das mag ich erheblich lieber als die kühlere Variante der Frau W.

Quelle: flickr © Eddy Van 3000

Quelle: flickr ©Eddy Van 3000

Gut gefallen haben mir abgesehen von den tollen Stimmen (vor allem der Tristan ist selbst im Kino eine Wucht) das Bühnenbild, die Düsterkeit, die Effekte und die Interpretation des „Liebestods“ nicht als konkretes Sterben, sondern als „entseeltes“ Weiterleben, in Isoldes Fall an der Seite von Marke. Und nein, ich finde nicht, dass das meinem Ruf nach mehr Exzessen wiederspricht, denn manchmal ist Weiterleben tragischer als Sterben.

Quelle: flickr © Ranger56112

Quelle: flickr ©Ranger56112

Mein Fazit zur Inszenierung: Nicht schlecht, aber es geht besser. Die Musik tröstet über alles hinweg und lässt sich auch nicht kleindirigieren/-inszenieren.

Mein Fazit zum Format: Oper im Kino ist völlig anders als „in echt“ und hat eher etwas von einem Musikfilm. Wer das weiß und sich darauf einlässt, verzichtet zwar auf Event-Feeling und höchsten Hörgenuss, gewinnt aber Einblicke, die er vor Ort niemals hat. Ich bevorzuge sicher weiter das Opernhaus, aber wenn ich eine Inszenierung unbedingt sehen möchte und das aus irgendeinem Grund nur im Kino möglich ist, tue ich es wieder.

Neulich im Städel (Vernissage „Die 80er“)

26 Sonntag Jul 2015

Posted by anette quentel in People & Places, Städel

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80er, Blog, Quentel, Städel, Vernissage

Heiß war es – so heiß, dass mich der kurze Fußweg am Main entlang reichlich derangierte: Die Frisur war im Eimer (welche Frisur doch gleich?), das Kleidchen klebte hartnäckig irgendwo zwischen den Schulterblättern fest, und ich war einmal mehr froh, auch heute auf Farbe im Gesicht verzichtet zu haben, weil ich sonst sicher kaum noch von einem edlen Wilden auf dem Kriegspfad zu unterscheiden gewesen wäre. Wie so oft etwas früh dran, versuchte ich im Schatten zu retten, was zu retten war, als auch schon mein Begleiter auftauchte, der aus welchem Grund auch immer erheblich kühler und trockener wirkte als ich mich fühlte. Mir blieb die Hoffnung auf die Klimaanlage im Inneren des Museums und darauf, dass mein Charme solange vom feuchten Zustand meiner Person ablenken würde, bis die Technik Wirkung zeigte.

Schon eine Viertelstunde vor Beginn der unvermeidlichen Eröffnungsreden war kein Sitzplatz mehr zu bekommen. Ein Blick in die Runde bestätigte meine Vermutung, dass die Mehrzahl der geladenen Gäste (Freunde, Förderer und Sponsoren des Museums sowie wichtige Menschen aus Kultur und Stadtpolitik) den Sitzplatz nötiger hatte als wir. Schön, mal nicht zu den ältesten zu gehören. Also platzierten wir uns in einer der ersten Reihen hinter den Stühlen, von wo wir allerdings sehr bald in eine der letzten Reihen hinter den Stühlen verdrängt wurden. Ok, wir haben keinen nennenswerten Widerstand geleistet, wenn man mal von meinen unfreundlichen Blicken absieht. Was lernen wir? Höflichkeit ziert, bringt aber nicht weiter.

Dann kam der Herr Direktor – mit ein paar launigen Worten zum Wetter, ein paar kurzen Anmerkungen zum bevorstehenden Kunstgenuss und einer längeren Rede über Geld. Sein weicher österreichischer Akzent lenkt ja immer wohltuend von dem doch recht profanen Thema ab. Ihm folgte ein Vertreter des Hauptsponsors, dessen Duktus und Stimmfarbe mich (passend zum heutigen Thema) ein bisschen an den „Neue Deutsche Welle“-Sänger Markus erinnerten. Er verlieh seiner Freude Ausdruck, mal wieder geholfen zu haben und stellte weitere Unterstützung in Aussicht, unter anderem für den Ausbau des digitalen Angebots, was mich sehr gefreut hat. Durch die wirklich gut gemachten Digitorials im Netz bekommt man nicht nur im Vorfeld eines Ausstellungsbesuchs einen ersten Überblick. Ein netter Nebeneffekt: Das rasch angelesene Wissen bringt einem auch so manch erstaunt-anerkennenden Blick eventueller Begleiter ein 😉 So, dieses Geheimnis meiner „Kenntnis der modernen Kunst“ ist nun auch keines mehr.

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(C) Thomas Weidenhaupt (https://www.flickr.com/photos/streetpreacher)

Noch vor dem Auftritt des letzten Redners wurden die Gäste unruhig. An der Temperatur kann das nicht gelegen haben. Die Klimaanlage hat alles richtig gemacht. Selbst mein erhitztes Ich fühlte sich wieder wohl in seiner Haut. Jedenfalls beschlossen einige, sich die Dauerausstellung anzusehen und auf die Ausführungen des Kurators zu verzichten. Weil er auch aufgrund unserer suboptimalen Position gar zu schwer verstehen war, siegte auch bei uns irgendwann der Bewegungsdrang über die Höflichkeit.

Der Applaus und der Menschenstrom gen Treppe nach oben signalisierten das Ende der Reden. Wir schlossen uns den übrigen Kunstfreunden an. Mir ist es mal wieder gelungen, meine Monsterhandtasche am Taschenmaßkontrolleur vorbeizuschmuggeln. Hatte wie so oft vergessen, den Prachtbeutel gegen ein kleines feines Täschchen zu tauschen … Diese Schmuggelei hat aber auch einen sportlichen Aspekt: Ich gegen die Museumswächter der Welt! Ich gewinne in etwa 50% der Fälle.

Ich war schon ein fast ein Vierteljahr nicht mehr im Städel gewesen und freute mich auf dem Weg zur Ausstellung, ein paar gute alte Bekannte wiederzusehen: die Delilah mit dem Samsons Kopf in der Hand, Munchs grüngesichtigen Eifersüchtling, Monets Frühstück im Familienkreis (ohne Papa aber dafür mit missgünstiger Hausangestellten im Hintergrund), die schiefen Häuser des Herrn Beckmann, Bacons schreiende blutende Frau von grünem Hintergrund (mit einem Titel, den ich mir wohl niemals merken werde – irgendetwas mit Krankenschwestern und dem Panzerkreuzer Potjemkin), etc. Sie alle waren noch da. Schön, dass sich manche Dinge nie ändern.

Nun aber endlich in die Ausstellung. Es war weniger voll, als der Andrang bei den Eröffnungsreden hatte vermuten lassen, und in den Gesichtern der Besucher waren sehr unterschiedliche Reaktionen zu lesen: Süffisanz, neugieriges Interesse, Ablehnung, diebisches Vergnügen, Verständnislosigkeit … Eine Bekannte sprach mich an, weil sie mit irgendjemandem über das reden wollte, was sie gesehen hatte. Sie mochte die Bilder nicht besonders, ist eher für Gegenständliches zu begeistern – fair enough. Moderne Kunst polarisiert. Das will sie auch.

(C) Marinka (https://www.flickr.com/photos/marinkabozzec/favorites/)

(C) Marinka (https://www.flickr.com/photos/marinkabozzec/favorites/)

Ich mochte einige Bilder mehr, andere weniger, aber auch bei vielen, die ich mir nicht aufhängen würde, machten mir die Ideen dahinter Spaß. Einige habe ich nicht verstanden, bei einigen brauchte ich noch nicht mal den Titel zu lesen, um zu vermuten, was der Künstler mir sagen wollte. Es hilft ja immer sehr, die Kunst in den Zeitkontext zu setzen. Also: Was war los in den 80ern? Was waren die Themen? Kalter Krieg/Glasnost, Dallas, Chaostage, Falklandkrieg, AIDS, Gründung der Grünen, Brockdorf, Friedensbewegung, Tschernobyl, Challenger-Katastrophe, Lockerbie … und ganz zum Schluss der Mauerfall. Es gab Popper, Punker und Yuppies. Wir hörten David Bowie, Culture Club und Kraftwerk, aber auch Nina Hagen, Eric Clapton, und unsägliche deutsche Schlager, guckten Sketch-up, Jenseits von Afrika, MacGyver und Rainman – und Joseph Beuys pflanzte in Kassel 7.000 „Eichen“ aus Beton.

Das alles und noch viel mehr hat die Künstler der 80er-Ausstellung beeinflusst, in unterschiedlichem Maße. Da überrascht es nicht, dass es der Kunstkritik schwer gefallen ist, einen gemeinsamen Namen für diese Strömung finden. „Neue Wilde“ heißen sie, manchmal auch „Neue Heftige“. Das kann so ziemlich alles bedeuten. Vielleicht konnten sich die Künstler deshalb selbst nie so ganz mit diesen Bezeichnungen anfreunden. „Wild“ sind sie vielleicht in ihrer Direktheit, in der Wahl ihrer Themen (es gibt Sex und Blut und Nackte) und ihren zum Teil expressiven Strichen. „Wild“ auch, weil sie keine geschlossene Gruppe waren, sondern Einzelgänger, oder weil sie sich vorübergehend zu inhomogen Gemeinschaften zusammenschlossen und häufig den Ort wechselten. Weder neu noch wild finde ich hingegen, dass sie mit der figurativen Malerei etwas wiederaufgenommen haben, das in den Jahren zuvor, die sich vor allem durch Performances und Installationen auszeichneten, in Vergessenheit geraten war, ja geradezu geschmäht wurde. Diese Befreiung vom Intellekt, von der Verkopftheit der vorangegangenen 10 bis 20 Jahre resultiert in der Individualität, der Obsession, dem Ausdruck tiefer Ängste oder auch im Spaß am Leben und am Anderssein. Wenn nicht „wild“, so doch zumindest „heftig“ und wunderbar emotional.

(C) Michaela https://www.flickr.com/photos/cephir/

(C) Michaela (https://www.flickr.com/photos/cephir)

Mit solchen und ähnlichen Gedanken, mal schmunzelnd, mal runzelnd, habe ich mir die Ausstellung angeschaut – froh, nicht allein zu sein und einige meiner manchmal vielleicht ein bisschen abstrusen Interpretationen und Vermutungen mit jemandem teilen zu können. Und ich werde nochmal hingehen, zu einer Führung. Bin schon sehr gespannt, was die Fachleute sagen und ob ich das eine oder andere Werk nach einer Erklärung mit anderen Augen sehe.

Titelfoto: Christian Schnettelker http://www.manoftaste.de

Kroatien mit Studiosus „me & more“

20 Samstag Jun 2015

Posted by anette quentel in Kroatien 6/15, Reisen

≈ Ein Kommentar

Schlagwörter

Blog, Kroatien, Quentel

SONNTAG

Sonntagnachmittags in den Urlaub zu fliegen ist sehr entspannt. Gemütliches Kofferpacken, gute Taxiverfügbarkeit, freie Straßen, keine Schlangen an Check-in-Schaltern und Sicherheitskontrollen. Habe heute zum ersten Mal in einem Ganzkörperscan gestanden. Fühlte sich an wie eine Hoteldusche ohne Wasser. Darüber, was der attraktive Mittfünfziger hinter dem dazugehörigen Bildschirm zu sehen bekam, habe ich versucht, mir keine Gedanken zu machen. Ich war viel zu früh am Gate und habe die Zeit genutzt, mir noch den Spiegel herunterzuladen, was etwa 45 Minuten gedauert hat. ALiebe Lufthansa: An Eurer Netzgeschwindigkeit am Frankfurter Flughafen besteht Optimierungsbedarf!

An den Piloten übrigens auch. Der unsrige brauchte drei Landeanflüge, um den Kranich in Split auf die Erde zu bringen. Den ersten brach er auf halben Weg nach unten mit dem Kommentar ab: „Na, das war jetzt nicht so gut. Das versuchen wir gleich noch mal.“ Auch beim zweiten Mal zog er kurz vor der Vollendung noch mal durch, um das später mit einer „vollen Landebahn“ zu begründen und uns zu versichern, dass das aber alles kein Problem sei, weil wir ausreichend Sprit hätten. Ob ich ihm das mit der Landebahn glauben darf? Vielleicht war es ja einfach auch beim zweiten Mal „nicht so gut“. Jedenfalls wurden ein paar Damen und Herren um mich herum ein bisschen nervös. Während die Mädels das offen kundtaten, wurden die Jungs immer lauter. Sie ließen mit betont fester Stimme pseudo-coole Sprüche und alberne Vermutungen über die Ursachen für all das ab. So kompensiert halt jeder seine Verunsicherung anders. Beim dritten Mal flog unser Held der Lüfte den Flugplatz von der anderen Seite an – mit Erfolg, was dann auch gleich ein paar Landungsklatscher auf den Plan rief, die ich eigentlich schon ausgestorben wähnte. Der Herr Pilot entließ uns mit den üblichen guten Wünschen und der Hoffnung, dass uns alle seine Landungen Spaß gemacht haben – Humor hatte er jedenfalls.

Landung

Ein junger Mann mit einem Studiosus-Schild in der Hand wies uns den Weg zum Bus, der aber noch zehn Minuten warten musste, weil ihm laut Liste ein Passagier fehlte. Ob der wohl die Flucht ergriffen hatte, weil ihm die viele Landerei auf die Nerven gegangen ist? Jedenfalls ist er (oder sie) bis heute nicht aufgetaucht.

Es folgten etwa 30 Minuten Fahrt zum Radisson Hotel**** – ungefähr 4km außerhalb von Split an der Steilküste: modern, mit viel Glas und sehr durchgestylt. Besonders cool waren das bodentiefe Glasgeländer am Balkon (nichts für Menschen mit Höhenangst, zu denen ich aber nicht zähle) und die Tatsache, dass es viele Steckdosen in den Zimmern gab, so dass meine Technik nächtens immer gleichzeitig Futter bekommen konnte. Natürlich bin ich wieder mit allerhand Endgeräten unterwegs; und „umstöpseln“ zu müssen, hätte den Spaß eindeutig gemindert. Den Willkommensdrink habe ich verpasst, weil ich glaubte, erstmal alles in Gang bringen und meine Mails checken zu müssen. Warum ich das nicht einfach über das Händi gemacht habe? Kein Netz! Nachdem es mir vor ein paar Wochen in Basel genauso gegangen war, nahm ich es diesmal gelassener. Wahrscheinlich hatten die Vodafone-Menschen in meinem Account wieder alles außer Inlandsgesprächen abgeschaltet. Das klärende Gespräch mit der Hotline verschob ich auf später, um der üblicherweise 20-minütigen Warteschleife zu entgehen.

Die Abfahrt zum gemeinsamen Dinner mit der Gruppe habe ich dann gerade noch geschafft. Es ging in die Altstadt in ein Restaurant, wo man uns plattenweise Fleisch von allerlei Nutztieren verabreichte, unter anderem etwas, das man „Lamm unter der Haube“ nannte und bei dem Fleisch und Gemüse 2-3 Stunden zusammen in einem Ofen geschmort werden. Ich habe den Verdacht, dass unser Lamm im Lebendzustand eher Steckdosennase und Ringelschwänzchen hatte, aber das will ich jetzt nicht fest behaupten. Es wäre auch egal, denn lecker war’s. Der Wein war auch kalt und trinkbar, die Tischgesellschaft unterhaltsam.

Ach ja, die Gruppe: Altersstruktur zwischen gefühlten Ende 20 und Ende 70 (17 Frauen, 7 Männer). Natürlich gibt es auch hier die Vertreter der Gattungen Plaudertäschchen, Reiseberichterstatter, einsamer Wolf, Naseweis etc., aber alles im Rahmen. Alle sind sympathisch, niemand nervt. Das ist gut. Ob irgendjemand darunter ist, der/die ausreichend viele Gemeinsamkeiten mir hat, um mehr als Small Talk auszutauschen, weiß ich noch nicht. Bei meinem Reiseveranstalter Studiosus steht die Kategorie „me & more“ ja für Trips für Alleinreisende. Klar, dass dazu auch mehr oder weniger latent Partnersuchende zählen. So habe ich dann auch gleich am ersten Abend ein Gespräch mitgehört, bei dem es irgendwie um die Schwierigkeit ging, einen Partner zu finden und bei dem sich über die Vor- und Nachteile von Partnervermittlungen ausgetauscht wurde. Weil ich da nicht mitreden konnte, und ja auch gar keinen Partner suche, hätte ich lieber mit dem Senior an der anderen Ecke des Tisches über den Rücktritt der Deutsche-Bank-Spitze geredet, aber das scheiterte an der Lautstärke um uns herum.

Zurück in meinem Zimmer habe ich dann mit Vodafone telefoniert – die Verschiebung auf den sehr späten Abend war eine gute Idee. Und so wurde ich, nachdem ich der Bandansage glaubhaft versichert hatte, dass ich jetzt keine Informationen über die neuen tollen Angebote wünschte, schnell zu einem echten Menschen durchgestellt, der mein Problem lösen konnte. Ich war wieder freigeschaltet und mein Schwarzbeerchen tat, was es sollte.

MONTAG

Am frühen Morgen bin erst mal zur Meerbesichtigung gestartet, habe ein halbes Stündchen auf einem Stein herumgesessen und Wasser, Fische, Muscheln und Seeigel geguckt. Als ich gehen wollte sprach mich eine alte Dame an, die Miesmuscheln für ihr abendliches Risotto sammelte. Sie erzählte, dass sie vor 60 (!) Jahren Deutschlehrerin war, und verriet mir nicht ohne Stolz ihr Alter (87). Wir plauderten eine halbe Stunde über sehenswerte Inseln, den Krieg und das Älterwerden – ein Thema, dass sie sehr zu beschäftigen schien. Dann fragte sie mich sehr direkt, ob ich denn ganz alleine sei. Himmel, hat sich mein mittlerweile 1,5jähriges Single-Dasein schon in meinen Gesichtszügen niedergelegt? Na, jedenfalls erzählte sie mir, dass sie ihren Mann vor vielen Jahren verlassen habe, weil sie meinte, es sei besser, ab und zu ein bisschen einsam zu sein als zu zweit immer unglücklich. Recht hat sie.

Diokletian

Nach dem Frühstück folgte ein geführter Ausflug in die Altstadt bei blauem Himmel und fast 30°: Besichtigung des Diokletianspalasts, der solange „die Stadt“ war, bis er aus allen Nähten platzte. Er ist komplett bewohnt, und man kann auch Wohnungen kaufen (3.000 Euro/qm, für Frankfurter Verhältnisse also recht günstig). Die Kathedrale ist eher ein Kirchlein, aber hübsch anzusehen. Jeden Tag um 12 Uhr tritt auf dem Platz davor der Kaiser Diokletian (ein gutaussehender junger Mann in einem Faschingskostüm „Modell Römer“ nebst Gefolge) für die Touris auf, lässt ein paar Mal „Ave“ rufen und verschwindet dann wieder. Einen Geldautomaten habe ich auch gefunden. Die Preise hier sind sehr niedrig. Hoffentlich werde ich meine 400 Euro in Kuna überhaupt los.

Nach der Führung sind die meisten in kleineren Grüppchen etwas essen gegangen. Ich habe den einsamen Wolf gegeben, bin durch die Gassen gestreift, habe ein Kleidchen für mich entdeckt, später im Schatten Caprese gegessen (in der kroatischen Variante mit Knoblauch L) und ein bisschen ge-facebooked. In vielen Cafés gibt es Free WIFI. Nach einem großen Eis an der Hafenmauer wurden wir wieder ins Hotel verbracht, wo mittlerweile die kroatische Nationalmannschaft Einzug gehalten hatte. Ihr Bus steht vor der Tür und es laufen drei oder vier Polizisten drumherum. Mehr Sicherheitsschutz braucht es hier offenbar nicht.

Nach der Tippelei bei ungewohnt hohen Temperaturen wollte ich mich ein halbes Stündchen auf ein Nickerchen ins klimaanlagegekühlte Zimmer zurückziehen und dann ans Meer … und bin nach drei Stunden wieder aufgewacht – gerade rechtzeitig für das Abendessen: Buffet, lecker und vielseitig. Den restlichen Abend habe ich mit einem Teil der Gruppe bei einem Gin Tonic verbracht. Dann zog ein Gewitter auf: tolle Vorstellung mit einer enormen Lightshow – fast so gut wie Theater. Außer mir haben das allerdings nur drei der Buben so gesehen. Die anderen verzogen sich auf ihre Zimmer. Uns vier hat erst der Sturzregen vertrieben, der eine halbe Stunden später einsetzte und jetzt allmählich in Landregen übergeht.

DIENSTAG

Sonnenschein! Abfahrt um neun Uhr nach einem formidablen Frühstück. Ich war zu früh dran und kam vor dem Hoteleingang mit einem Fan der Nationalelf ins Gespräch, der auf ein Autogramm lauerte und gehört hatte, dass die Mannschaft um 10 Uhr zum Training führe. Er lauschte mit leuchtenden Augen, als ich erzählte, dass ich schon ein paar von ihnen beim Frühstück und gestern in der Bar gesehen hatte. Dann berichtete er, dass die Spieler hier ganz anders seien als ihre Schnösel-Pendants in Deutschland, wo er 30 Jahre seines Lebens verbracht habe: sehr leutselig, immer zu einem Schwätzchen, Fotos und Autogrammen bereit. Er meinte, sie würden einige ihrer Fans schon kennen und steckten älteren Leuten oder Kriegsversehrten auch mal ein paar Scheine zu – klang irgendwie sympathisch. Dann hat er noch ein bisschen über die steigenden Preise geschimpft und erzählt, dass er es gar nicht verstünde, wie man für eine Nacht in einem Hotel 100 Euro bezahlen könne. Er ginge ja immer nur in kleine Pensionen für höchstens 30 Euro. Dass das Radisson fast 200 kostet, habe ich ihm nicht erzählt. Er meinte, bei den steigenden Preisen in Split würden die Touristen sicher bald wegbleiben. Wer sei schon bereit, 2 Euro (!) für einen Cappuccino zu zahlen. Offenbar hatte er seine Zeit in Deutschland nicht in Frankfurt verbracht oder es ist schon sehr lange her … Als der Rest unserer Gruppe auftauchte, verzog er sich mit seinem T-Shirt, das er zwecks Verautogrammung mitgebracht hatte.

Trogir

Heute standen Stadtarchitektur und Natur auf dem Programm. In Trogir, UNESCO-Welterbe, trafen wir Reiseführerin Susanna wieder, die uns schon den Diokletian-Palast nähergebracht hatte. Zu sehen gab es hier eine schöne alte Stadt mit engen Gässchen und eine Kirche, die sich vor allem mal mit der Sünde beschäftigte: rechts und links des Portals Adam und Eva, zu ihren Füßen jeweils ein Löwe und in der Körpermitte ein Feigenblatt, das zumindest mal Evas Blöße nur sehr unzureichend bedeckte. Adams Mittelstück war dagegen recht ordentlich verhüllt. Direkt neben Eva gibt es ein Relief, das zwei Drachen zeigt, die eine sehr nackte Frau verschlingen. Sie hängt kopfüber und jeder Drache hat ein Bein im Maul – sehr martialisch. Es soll die Vernichtung der Sünde symbolisieren. Die kleine Emanze in mir musste sich mal kurz räuspern. In der Kirche selbst gab es eine Menge Engelsköpfe, schöne Altäre und alles, was zu einer ordentlichen Kirche gehört, einschließlich einem kunstvoll geschnitzten Chorgestühl. In der angrenzenden Taufkapelle schauten viele kleine nackte Engelbuben, auf uns runter, was einen der Mitreisenden zu der Bemerkung „ein Paradies für Pädophile“ veranlasste. Interessant, was für Assoziationen manche Leute haben.

Trogir 1

Gegenüber der Kirche stand eine große Loggia, auf der früher zu Gericht gesessen wurde. Frauen waren als Zeugen nicht zugelassen, „Weil die ohnehin nie die Wahrheit sagen“ … Die anschließende freie Zeit nutzte ich, um zusammen mit einem kleinem Teil der Gruppe den Glockenturm zu besteigen, belohnt von einem wunderbaren Ausblick – was sonst. Und weil ich gerade so schön dabei war, hatte ich auch nichts dagegen, mit einem Gleichgesinnten eine Festung am Ende des Hafens zu „erobern“. Die Turmkletterer sind in dieser Gruppe eindeutig in der Minderzahl.

Fensterblick

Nach einem kleinen Snack ging es weiter in den Naturpark, in dem ein Teil der Winnetou-Filme gedreht worden war. Viel Grün, viele Wasserfälle mit vielen Fischen und kleinen dunkelblauen Schmetterlingen. Natur in Hülle und Fülle. Am Fuße des größten Wasserfalls haben wir uns kurz ins Wasser geworfen. Die Strömung war wie die Gegenstromanlagen in Luxushotels, nur „in echt“ – schön war das. Mittlerweile zog ein Gewitter auf, was dem Rückweg auf einem kleinen Holzsteg durch Unmengen von Grün und vorbei an einer Reihe von kleineren Seen und Bächen etwas Mystisches gab. Die vielen kleinen Wasserfälle mit ihren Strudeln hatten etwas Hypnotisches. Hier wäre ich gerne länger geblieben, aber der Bus wartete.

Nationalpark

So gegen halb sieben waren wir wieder im Hotel. Am Abend war kein Abendessen gebucht, und ich hatte verpasst, mich zu verabreden, so dass ich mich irgendwann allein auf die Suche nach etwas Essbarem machte. Fündig geworden bin ich nach einem Spaziergang am Meer in einem kleinen schicken Restaurant, auf dessen Terrasse ich einen Tisch mit Blick aufs Wasser und die untergehenden Sonne entdeckte, der nur für eine Person gedeckt war – sollte wohl so sein. Die Herren Kellner taten alles, um mir einen netten Abend zu bereiten, brachten mir ein Glas wunderbaren Wein von der Insel Korcula, der eigentlich nur in Flaschen ausgeschenkt wird, und kümmerten sich herzlich um die einzige Alleinreisende im Lokal. Was es gab? Eiweißreicher Luxus: Austern und Riesengarnelen (die besten Austern seit Schottland, groß und festfleischig). So gegen zehn machte ich mich auf den Weg zurück und beendete den Abend mit einem Drink und dem Spiegel (der Zeitschrift, versteht sich) auf dem Balkon und mit Kofferpacken.

MITTWOCH

Pünktlich um Acht ging es los zur Inseltour (überhaupt haben wir während der ganze Reise nie auf irgendwelche Nachzügler warten müssen). Zunächst mit der Fähre nach Hvar, vorbei an einer Reihe von Inseln wie Brac, Ciovo und Solta. Ich habe keine Ahnung, welche davon welche war. Schön waren sie alle – am schönsten die ganz kleinen, die wahrscheinlich gar keinen Namen haben, und bei mir Gedanken an ein anderes Leben ausgelöst haben, eines ohne Uhr, ohne Termine und ohne Verpflichtungen … aber solche Gedanken habe wir ja alle hin und wieder – und kehren dann doch dahin zurück, wo wir herkommen und sind damit wahrscheinlich ganz gut beraten. Erste Station auf Hvar war eine kleine Kirche mit einem Friedhof auf einem Hügel zum „Überblick verschaffen“. Der Friedhof war offen, und an den Grabsteinen hingen zum Teil Fotos der Verstorbenen. Einigen sah man recht deutlich an, wie ihr Leben so verlaufen sein muss.

Weiter ging es ins Örtchen Starigrad, wo wir mit einer kleinen Gruppe einen Künstler in seinem Atelier besuchten, der aus Teilen toter Tiere neue kleine Tiere baute – sehr spannend, skurril und ein bisschen morbide. Mir hat’s gefallen. Im Gespräch erwies er sich als weitgereister Freidenker, der als Selbstversorger ins mietfreie Elternhaus zurückgekehrt war, nie mehr für irgendwen arbeiten möchte und sehr zufrieden mit sich und seinem bescheidenen, aber freien Leben wirkte – ein überzeugter Träumer, dem es gelungen ist, sein Lebenskonzept umzusetzen und die dazu passende Partnerin zu finden (ebenfalls Künstlerin). Seine kleine Tochter würde bald in Frankreich zur Schule gehen und sei genauso drauf wie er, meinte er. Es steht zu hoffen, dass sie nicht irgendwann in den Staatsdienst geht oder irgendetwas anderes Biederes wird. Ich denke, das würde ihn schwer treffen.

Als nächstes machten wir bei einem Winzer/Schnapsbrenner/Imker/Lavendelbauern halt, der aus dem teuren Zagreb mit seinen hohen Mieten irgendwie „gezwungenermaßen“ auf den Hof seiner Schwiegereltern gekommen war – ein Quereinsteiger also. Die Schnäpse und Weine waren recht schrecklich. Die Qualität des Weins begründete er damit, dass sie mit ihm „nichts machen“ würden, weil das zu viel Zeit koste. Er sei also so, wie ihn der liebe Gott in den Fässern reifen lässt. Vielleicht hilft da bei Gelegenheit mal ein kurzes Gebet. Für den gruseligen Schnaps hatte er keine Erklärung. Aber den Honig mochte ich, und beim Lavendeltrocknen haben sie (oder auch der liebe Gott) auch nichts falsch gemacht. Wenn alle Reisegruppen so fleißig einkaufen wie wir, kann er sich bald eine schöne große Wohnung in Zagreb kaufen, aber vielleicht will er das dann gar nicht mehr. Das 100-Seelen-Dörfchen ist nämlich wirklich beschaulich und alles wirkte sehr entspannt – mal abgesehen von der Nachbarin, die sich von uns gestört fühlte.

HVAR_1033

Auf einer Burg oberhalb von Hvar-Stadt gab es dann neben der Aussicht ein altes Gefängnis zu bewundern – schön düster. Ich musste unwillkürlich an den Grafen von Monte Christo denken. Nach dem Abstieg in den Ort brauchte ich erstmal eine Pause, die ich mit einem kleinen Cocktail und einem spannenden Gespräch über das Leben verbrachte – also doch nicht nur Small Talk auf dieser Reise. Wie gut. Nach einem kurzen Rundgang durch die engen Gässchen mit ihren Steinhäuschen, Geranien und der Wäsche vor den Fenstern fiel uns auf, dass der Platz vor der Kirche die perfekte Kulisse für einen Western war – „Do not forsake me, oh my Darling“ und so. Später erfuhr ich, dass der Ort tatsächlich oft als Filmkulisse genutzt wird. Dann sammelten wir uns zur Überfahrt mit einem Katamaran nach Korcula, der Endstation für heute. Der Katamaran war doof. Wir wurden in den Schiffsbauch hinter abgedunkelte Fenster gesperrt, und die Klimaanlage war auf gefühlte 16°C eingestellt. Aber zumindest gab mir das Gelegenheit, mal ein bisschen Text zu lernen. Gegen Viertel vor neun landeten wir im Hotel – mit ausgeschriebenen vier, aber gefühlten 2,5 Sternen: keine Balkone, mittelgutes Essen und kein intaktes WLAN, aber egal. Vielleicht bin ich nur ein bisschen verwöhnt. Alles war ordentlich geputzt und mein Zimmer war riesig. Was sollte ich bloß mit den drei Betten anfangen? Habe das Doppelbett dann als Kofferablage genutzt.

Der Koffer stand auch schon auf dem Zimmer (sehr bequem) und das Buffet war noch ausreichend gefüllt, um uns hungriger Meute zu geben, was wir brauchten. Danach habe ich mal wieder den Anschluss zum Ausgehen verpasst, traf aber an der Bar auf unseren Senior, der allein vor einem Wodka-Lemon saß. Das passte. Nach einer knappen Stunde mit Gesprächen über das Älterwerden, die Finanzmärkte, sehenswerte Reiseziele und ein paar Eindrücken aus seinem Leben sagten wir einander Gute Nacht. Zum Liegen gekommen, merkte ich erst, wie k.o. ich war. Gut, dass ich die anderen verpasst habe, denn dadurch …

DONNERSTAG

… bin ich jetzt auch schon sehr früh wach und habe die letzten zwei Tage protokolliert. Heute wird’s gemütlich: Kleiner Stadtrundgang und ein freier Nachmittag. Ob ich den mit einer Fahrradtour oder ein paar Stunden Strand fülle, entscheide ich später. Jetzt gibt es erstmal Frühstück…

Das war heute eine richtig gute Stadtführung. Der Herr Ivan war nicht nur ein netter Anblick, sondern wusste auch viel und konnte spannende Geschichten erzählen, zum Beispiel, dass die Straßen von Korcula Stadt so angelegt sind, dass sie gegen die Herbst-/Winterstürme schützen und im Sommer für Belüftung sorgen; dass die Korculaner sehr fortschrittliche und vernünftige Gesetze hatten oder dass Marco Polo aller Wahrscheinlichkeit nach nicht, wie gerne behauptet, hier gewohnt, aber nachweislich zwei Tage im hiesigen Knast gesessen hat. Er berichtete auch über die Theorie, dass der große Forschungsreisende möglicherweise niemals selbst in China war.

Nach der obligatorischen Kirchturmbesteigung mit der Bubentruppe, zu der ich mich von da an immer öfter gesellt habe (oder sie sich zu mir, wer weiß das schon immer so genau), sind wir mit einem kleinen Grüppchen und unserer phantastischen Reiseführerin Patricia mit dem Boot auf eine Insel zum Schwimmen gefahren. Schon die Fahrt dorthin war toll – Wind in den Haaren. Wer mich kennt, weiß, wie gerne ich im, am und auf dem Wasser bin. Patricia hatte einen kleinen, wenig bevölkerten Strand ausgesucht, und mir war nach Schwimmen. Weil ich nicht so recht wusste, wie es dort so mit den Strömungen stand, traf es sich bestens, dass sich auch einer der Mitreisenden im Wasser sehr wohl fühlte. Ich glaube, wir sind fast eine Stunde da draußen herumgeschwommen, haben uns treiben lassen, zwischendurch mal angetestet, wie tief es wohl sein könnte, und ausprobiert, ob wir noch „Rolle rückwärts“ können.

Badeausflug

Ach ja, die Patricia … eine ganz außergewöhnliche Frau mit viel im Kopf, megaviel Charme und einer herrlich lockeren Art. Dass sie zudem ein echter Hingucker ist, sei für die männlichen Leser auch noch erwähnt. Ein tolles Weib also, von der wir eine Menge erfahren und mit der wir viel gelacht, aber auch ganz ernsthafte Gespräche geführt haben.

Zurück auf Korcula sind wir vor dem Dinner nochmal schnell gefühlte 150 Treppenstufen zu einer kleinen Kapelle aufgestiegen, wo es zufällig einen etwas beleibten Herrn zu beobachten gab, der sein Training absolvierte: eine Runde um die Kapelle, 20 Mal Stein stemmen (etwa 10 kg schwer, hab’s später getestet), eine Runde um die Kapelle, 20 Mal Stein stemmen … großer Spaß.

Am Abend sind wir dann mal „auf die Piste“. Diesmal habe ich den Anschluss nicht verpasst. Wir hatten vom Kirchturm aus am Vormittag eine Bar auf einem kleinen runden Wachturm entdeckt, der Teil der Stadtmauer war. Da trieb es uns hin. Über etwas, das man getrost als Hühnerleiter bezeichnen konnte, gelangten wir hoch. Die Getränke wurden mit Hilfe eines Einkaufskorbs über einen Seilzug außen am Turm nach oben transportiert. Na, so zwei drei Körbchen gingen wohl auch an unseren Tisch. Als letzte Gäste verließen wir den Ort und kamen sogar heil die Leiter runter. Aber wir hatten noch nicht genug und landeten für ein Stündchen in einer Kneipe am Rande des Städtchens. Der harte Kern wechselte dann noch in eine weitere Bar, wo es eine (zum Leidwesen der Buben bereits verwaiste) Stange zum Tanzen gab. Wie heißt dieses Ding denn eigentlich im Fachjargon? Einer der Jungs hat sich mal kurz daran versucht – nettes Bild, das wir aber leider nicht festgehalten haben. Der letzte Tequila hat dann auch uns geschafft. Aber wir haben das Hotel gefunden, und ich bin sofort in den Tiefschlaf gefallen. Am nächsten Morgen sollte es weitergehen zum nächsten und letzten Ziel der Reise: Dubrovnik.

FREITAG

Den leichten Brummschädel am Morgen haben wir wahlweise mit Jogging, Sleeping, und in meinem Fall mit Swimming bekämpft – erstaunlicherweise erfolgreich. Das war auch wichtig, denn eine unserer ersten Stationen war eine Weinprobe. Der Weißwein war mäßig und wurde uns als passend zu Spargel verkauft. Ja, der hatte so wenig Fülle, dass er den Spargelgeschmack garantiert nicht überdecken würde. Der rote war wohl gut. Für meinen Geschmack hatte er zu viel Tannin, aber ich bin da beileibe kein Maßstab. Irgendwer hat mal gesagt, für ihn müsse Weißwein teuer und Rotwein billig sein. Dem schließe ich mich an. Die angebotenen Liköre waren dagegen richtig lecker – so lecker, dass ich mich aus Entscheidungsunfähigkeit gleich mit zwei Fläschchen versorgt habe. Die müssen jetzt nur noch heil nach Hause.

Treppen

In Ston wartete die nächste sportliche Herausforderung: Es gab die Option, die Stadtmauer zu besteigen, die sich den Hausberg hochzog – eine Idee, für deren Umsetzung sich trotz Mittagshitze eine kleine Gruppe zusammenfand. Der Rest verzog sich zu Meeresfrüchten in den Schatten. Es gab eine kurze Strecke, eine lange Strecke und eine sehr lange Strecke – viele, sehr viele und megaviele Treppen. Ein paar begnügten sich mit der kurzen Strecke, einige wenige wagten sich weiter. Am Ende stand endgültig fest, wer der Ultrasportler der Gruppe war: Er legte einen Teil der megavielen Treppen aus schierem Bewegungsdrang gleich zwei Mal zurück. Ich fand einen Gleichgesinnten für irgendetwas zwischen „lang“ und „sehr lang“. Weil das alles doch mehr Zeit beanspruchte als gedacht, reichte es nicht mehr zum Lunch, was schade war, weil es in der Nähe einige Austernfarmen gibt. Aber so reichten uns Obst und Wasser aus dem Supermarkt – viel Wasser …

Dubrovnik

In Dubrovnik blieb im sehr schicken Valamar President *****, wo ich ein recht luxuriöses Zimmer im 8. Stock bekam, vor dem Dinner noch Zeit, das Meer zu testen. Nach viel Fisch und Obst zog es uns später noch in die unweite Cave Bar, bzw. auf deren Terrasse zu einem Cocktail. Wer hätte gedacht, dass der nach gestrigen Abend schon wieder schmecken würde. Tat er aber.

SAMSTAG

Nach einem Frühbad im Meer gehörte der Freitagvormittag wieder der Gruppe und einer Stadtführung durch Dubrovnik, das man vom Hotel aus in 20 Minuten mit dem Stadtbus erreicht. Stadtbus heißt zu viele Menschen auf zu engem Raum, aber da mussten wir durch.

Dächer

Am Tor zur Altstadt erwartete uns eine Stadtführerin, die – sagen wir es mal wertfrei – sehr routiniert wirkte. Ja, sie wusste viel, aber besonderen Spaß schien ihr der Job nicht zu machen. Dubrovnik war nach dem Krieg ziemlich zerstört, aber alles wurde wieder aufgebaut. Es gibt Unmengen von Touristen (auch wegen der bis zu 7 (!) Kreuzfahrtschiffe, die hier täglich anlegen), aber in der Mittagshitze hatten die sich irgendwohin verzogen, so dass wir nach der Führung in Eigenregie die Stadtmauer umrundeten. Das dauert eine gute Stunde, ist einfach nur toll und unbedingt zu empfehlen. Es gab Ausblicke, die einen regelrecht verstummen ließen. Wahrscheinlich werde ich mich beim Bildersortieren fragen, was mich sonst so vernunftgesteuertes Wesen dazu getrieben hat, etwa 20 Bilder von Steinen, Mauern, blaugrünem Meer und Dächern zu machen, aber egal. Die Buben haben auch meinen 7. und 8. Panorama-Photo-Stop mit einem Lächeln und sehr geduldig hingenommen. Danke schön!

Meer

Danach waren erstmal Päuschen und Flüssigkeitszufuhr angesagt, gefolgt von einer Bootfahrt auf die Insel Lokrum, einem grünen Miniparadies, das neben einem Pfau und einem frischen Brautpaar (einmal mehr siegte hier die Hoffnung über das bessere Wissen) einen alten Turm zu bieten hatte, der natürlich bestiegen werden wollte. Wir schafften es mit einer Punktlandung zum geplanten Boot, um früh genug für ein kurzes Meerbad im Hotel anzukommen.

Heute war der letzte Abend. Noch vor dem Essen verabschiedete uns Patricia mit Likör und kandierten Früchten am Meer bei untergehender Sonne. Mir fiel „ganz zufällig“ die Aufgabe zu, ihr mit ein paar warmen Worten unser kleines Dankeschön für die Betreuung zu überreichen. Hab‘ ich aber sehr gerne gemacht. Nach dem Abendessen ging es dann mit den Jungs in ein benachbartes Vergnügungssträßchen zum Abschied feiern. Spät ist es geworden.

SONNTAG

Ein fauler Tag. Der größte Teil der Gruppe wurde um 14 Uhr 30 abgeholt, und „meine“ Buben hatten mich zum Winken verpflichtet – war ja klar. So habe ich den Sonntag kurzerhand zu einem Erholungstag erklärt, den ich nach den vielen Eindrücken auch durchaus mal nötig hatte. Es gab so viel Erlebtes, Gehörtes und Gesehenes zu sortieren und zu verarbeiten. Deshalb gibt es zum Sonntag nicht viel zu berichten: Strand, Frühstück, Strand, Winken, Strand, Blog schreiben, Abendessen mit den vier anderen „Verlängerinnen“ und ein schöner langer Abendspaziergang mit einer von ihnen. Und ja, ich gebe es zu: Ihr Buben hattet Recht – Ihr fehlt mir. 😉

MONTAG

Wolken! Nach dem Frühstück machte ich mich auf die Socken, um den Hausberg von Dubrovnik zu erklimmen, den Srd (keine Abkürzung; der heißt wirklich so). Es hätte auch eine Seilbahn gegeben, aber hey: Das kann ja jeder. Zunächst galt es mal wieder mengenweise Treppen zu überwinden, an deren Ende sich irgendwo der Einstieg befinden sollte. Den habe ich aber dummerweise nicht gefunden, und ein junger Mann schickte mich „etwa 500m“ eine ziemlich befahrene Straße entlang. Die 500m-Angabe entpuppte sich als schwere Unterschätzung. Erst nach etwa einer dreiviertel Stunde in gleißender Sonne fand sich ein Schild, das in die richtige Richtung wies. Nach etwa einer weiteren halben Stunde kam ich auf dem Kamm des Hügels an, hatte aber mein Ziel, die Bergspitze, um einen schlappen Kilometer verfehlt.

Abschussrampe

Diese Erkenntnis erforderte erstmal eine Pause mit viel Wasser. Erst dann konnte ich mich zur letzten Etappe aufraffen, vorbei an ein paar Ruinen, Abschussrampen und kaum verschütteten Schützengräben. Oben angekommen traf ich dann auf die viele Menschen, deren Wahl auf die Seilbahn gefallen war, und die erheblich erholter aussahen als ich. Die nächste Stunde verbrachte ich in einem Museum, das zeigte, wie es den Menschen und der Stadt Dubrovnik während der Belagerung 1991/92 ergangen ist: Bilder vom Krieg – zerstörte Häuser, Gefechtsfeuer, von Kummer und Angst gezeichnete Männer, Frauen und Kinder. Am Rande bemerkt sei noch, dass die Aussichtsplattform knallvoll und das Museum gähnend leer war. Aussicht ist halt beliebter als Rückschau. Auf einen Ausflug mit einem Go-Cart, die dort angeboten wurden, habe ich verzichtet. Allein ist das nur der halbe Spaß, aber ich bin sicher, dass sich unter den bereits Abgereisten ein Mitstreiter gefunden hätte. Ich wäre sofort dabei gewesen.

Für den Weg nach unten nahm ich faules Stück dann doch die Seilbahn. Für heute war ich genug gelaufen. Der Bus zurück ins Hotel war glücklicherweise leer und Neptun erwartete mich schon zu einem kurzen Bad vor dem Dinner.

DIENSTAG

Der letzte Tag in Kroatien, den ich für Blogschreiben, Shoppen und einen Museumsbesuch reserviert hatte. Nach dem mittlerweile üblichen morgendlichen Sprung in die Fluten machte ich mich wieder auf den Weg in die Altstadt und fand mich vor der kleinen Boutique mit dem wunderschönen roten Kleid wieder, die wir während des offiziellen Stadtrundgangs am Samstag passiert hatten – allein das Kleid passte nicht. Dafür aber zwei andere 😉 Um einige Kunos leichter und eine Klamottentasche schwerer spazierte ich zum Museum für Moderne Kunst, das aber wenig mehr zu bieten hatte als eine Ausstellung mit Bildern aus Japan, deren künstlerischen Wert ich nicht recht einschätzen kann, weil ich mich zu wenig auskenne. Ach, und eigentlich hatte ich dann auch genug, und machte mich auf den Weg zurück ins Hotel zu einem letzten Strandbesuch und an den Laptop zum Schreiben. Der Abend bei Sonnenuntergang auf der Hotelterrasse mit den Damen war nett, die Nacht kurz. Der Flieger sollte morgens um 7 Uhr 30 starten, so dass ich um 5 Uhr im Hotel abgeholt wurde. Irgendwie hatte ich die unchristliche Zeit bei der Buchung nicht recht bedacht, aber am Ende war auch das kein Problem. Verabschiedet wurde ich fürsorglich mit einem Gratiskaffee auf der Terrasse mit Meerblick, während ich auf den Transfer wartete. Der brachte mich in einer halben Stunde zum Flughafen – entlang der Küstenstraße, was mir einen letzten Blick auf Dubrovnik und die Insel Lokrum ermöglichte: Doviđenja Kroatien!

Sonnenuntergang

Mein Fazit

Die kroatische Küste ist ein toller Landstrich mit freundlichen und herzlichen Menschen (keine „Sehr-gerne-Roboter“, wie sie hier bei uns sehr verbreitet sind), vielen wunderschönen Inseln, traumhaften Farben und pittoresken Städtchen, von denen einige nur zu Recht zum UNESCO Welterbe zählen.

Ich muss öfter reisen.

Schwimmen und Türme besteigen werden jetzt wieder in den engeren Kreis meiner Hobbys aufgenommen.

Alleinreisen in der Gruppe macht Spaß, wenn man sich wie in diesem Fall auch zurückziehen kann, es viel Freiraum gibt und gute Tipps, ihn individuell zu füllen – und wenn man eine so prima Gruppe und Reiseleitung erwischt wie ich. Und Studiosus „me and more“? Gefällt mir!

Basel zämmä (zu Deutsch: zusammen)

13 Mittwoch Mai 2015

Posted by anette quentel in Basel 5/15, Reisen

≈ Ein Kommentar

Schlagwörter

Basel, Blog, Quentel

FREITAG

Der Zug war pünktlich, die Mitreisenden auch. Ein guter Start also in vier Tage Basel mit den Freunden und Förderern des historischen museums frankfurt, die vor allem mit Museen, Galerien und gutem Essen gefüllt sein sollten. Die Bahn spendierte wahlweise das Handelsblatt oder die Bildzeitung und viele Gummibärchen. Und so zog die Welt drei Stunden lang im Zeitraffer an mir vorüber: graue Bahnhöfe, kuschelige Dörfer, fleißige Spargelstecher, mal weiteres, mal engeres Grün und so ziemlich alles an einheimischen Wildtieren, was Deutschland zu bieten hat. Offenbar sehen die Viecher in einem ICE eine kleinere Bedrohung als in spaziergehenden Menschen. Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, begegnet mir höchstens mal ein verschreckter Hase.

In Basel: Regen … viel Regen, unentwegter Regen … „Fifty Shades of Rain“ – und kein Netz. Irgendetwas stimmte mit meinem Handy nicht. Nach der Tramfahrt (inklusive Umsteigen im strömenden Regen) und dem Einchecken im Teufelhof legten wir die zehn Minuten Fußweg (bei leichtem Regen) zu einem Snack zurück, der etwa so viel kostete wie das mittägliche 3-Gänge-Menu bei Emma im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt (das ich übrigens auch für abends empfehle, wenn es mal innovativ und unprätentiös schick sein soll). Überhaupt ist Basel unglaublich teuer, sogar für Frankfurter Verhältnisse.

Kulthaus

Dann die erste Museumsstation: das neu renovierte Museum der Kulturen mit seiner Attraktion, einem 16 Meter hohen Kulthaus aus Papua-Neuguinea, in dem dort Initiationsriten stattfinden – nur für Männer versteht sich. Frauen müssen nicht „initiiert“ werden. Wer Museum der Kulturen hört, denkt an dunkle Räume mit zahllosen Schaukästen, randvoll mit Püppchen, Masken, Werkzeugen und Bildern von wilden Kriegern. Aber hier ist alles sehr weitläufig, modern, wohldurchdacht und darauf ausgerichtet, die Besucher nicht nur zu informieren, sondern auch zu unterhalten. Beispielsweise weiß ich jetzt, wie Opium riecht und dass der Duft des gleichnamigen Parfums durchaus eine gewisse Nähe zu einer chinesischen Opiumhöhle hat. Mit dem Unterschied, dass ich damit noch nie jemanden betäubt habe – höchstens ein bisschen verwirrt 😉

Immer noch kein Netz.

Danach ein kleiner Fußweg (im wieder kräftigeren Regen) zum Museum der Wohnkulturen mit seiner aktuellen Ausstellung, die Museum of broken Relationships heißt und ihren Ursprung in Zagreb hat. Dort hat sich vor Jahren ein Künstlerpaar getrennt und wusste nicht, wie sie mit den gemeinsamen Erinnerungsstücken verfahren sollten, insbesondere mit Honey Bunny, einem Kuschelhasen, der für die beiden eine besondere Bedeutung hatte. Wir Normalsterblichen entsorgen so etwas ja entweder sofort oder umgeben uns noch eine Weile damit, bevor es nach einer geglückten Verarbeitung der gescheiterten Beziehung in eine Kiste im Keller wandert. Die Künstler hatten eine Idee, die ihnen 2011 den Kenneth Hudson Award eingebracht hat. Sie baten ihre Freunde, ihnen ihre Erinnerungsstücke an zerbrochene Beziehungen zu überlassen und eine Geschichte dazu aufzuschreiben. Jetzt reisen diese Dinge und ihre Storys um die Welt. Und überall, wo die Ausstellung Station macht, wird ein Aufruf gestartet, Beziehungssouvenirs und Geschichten einzureichen, die dann ebenfalls dort ausgestellt werden. So wächst die Sammlung kontinuierlich. Mittlerweile sind 2.000 Exponate zusammenkommen. In Basel sind zurzeit 99 zu sehen. Gezeigt werden sie in Symbiose mit der Dauerausstellung, die im Grunde genommen aus dem Gebäude selbst besteht: einem luxuriösen Wohnhaus aus dem Jahr 1780 nebst zeittypischer (aber nicht originaler) Einrichtung. Es bietet also ein paar kommentarlos mit alten Möbeln vollgestopfte Wohnräume. Die „Broken-Relationship“-Exponate wurden kurzerhand dazwischen platziert. Das Ergebnis: Man findet sie zum Teil nur schwer, und weil man mit der Suche und dem Lesen der Geschichten beschäftigt ist, schaut man sich die Räume und Einrichtungsgegenstände gar nicht mehr an – na ja, es gibt bessere Konzepte, aber die Stories waren spannend: lustig, traurig und allesamt lesenswert. Und sie regten zu dem einen oder anderen Gespräch darüber an, wie man selbst es so mit den manchmal recht albernen Überbleibseln gescheiterter Beziehungen hält.

Mittlerweile waren alle ein bisschen angeschlagen, hatten Hunger, Durst und Sehnsucht nach ein bisschen Ruhe vor dem Abendessen. Mich machte zudem die Netzunfähigkeit meines Mobiltelefons allmählich nervös. Ich bin es gewohnt, jederzeit mit der Welt Kontakt aufnehmen zu können und Wissenslücken sofort per Internet zu schließen. Jetzt fehlte es mir. Darüber, ob das ein bedenklicher Umstand ist, denke ich später mal nach.

Also zurück zum Hotel (im monsunartigen, aber kühlen Regen), wo ich dann mit Hilfe der Vodafone-Hotline (erstaunlicherweise nach kaum zehn Minuten Warteschleife) meine digitale Isolation beendete. Wie sich herausstellte, hatte der Kundendienst, als ich vor drei Wochen nach diversen teuren Handtaschengesprächen mit einem Apothekennotruf die Sondernummern sperren ließ, mal sicherheitshalber alles außer Inlandsgesprächen blockiert. Offenbar hatte ich am Telefon wie eine hilflose Seniorin geklungen, die es zu schützen galt… Das Problem konnte jedenfalls behoben werden. Ich war wieder die Ruhe selbst und mit der Welt verbunden.

Am Abend war im Hotelbistro eine lange Tafel für uns gedeckt. Das Essen war handwerklich tadellos, der Wein war fein, und wir haben über so angenehme Dinge wie Essen, Kochen, Kunst, Theater, Wellnessurlaube und Whiskey gesprochen, bevor ich gegen 23 Uhr ziemlich erledigt auf ein fremdes Kopfkissen gesunken bin – begleitet vom mittlerweile sanft rauschenden Regen …

SAMSTAG

Helden

Kurz mal kein Regen, sondern lockere Bewölkung, die ab und zu sogar ein paar Sonnenstrahlen Platz machte. Nach einem formidablen Frühstücksbuffet, zogen wir los zum Museum für Geschichte in der Barfüßerkirche, in dem es neben der Dauerausstellung eine Ausstellung mit dem Titel „Fußball – Glaube, Hoffnung, Religion“ zu begucken gab. Die Dauerausstellung im Keller beherbergt spektakuläre spätgotische Wandteppiche, kunstvoll gewebte Bilder über das Leben, die Liebe und mythische Wildleute – und es gab etwas, das wir heute Wimmelbild nennen würden. Wir erfuhren, dass sich jemand die Mühe gemacht hat, alle auf dem Bild gezeigten Pflanzen und Tiere zu bestimmen.

Wimmelbild

Überhaupt war das mal wieder ein Beispiel dafür, wie spannend man ein historisches Museum gestalten kann: mit Videos, Tonaufnahmen, Modellen und einer „Wunderkammer“, in der die wichtigsten Exponate aus allen Abteilungen ausgestellt waren – zu Reingehen uns Staunen. Schöne Idee. Vorbei am „Baseler Totentanz“, einem mittelalterlichen Fresko (bzw. dessen Resten), das mal eine Friedhofsmauer geziert hat und daran erinnern sollte, dass der Tod jeden Menschen ungeachtet seines Standes jederzeit erwischen kann, wurden wir in die Fußballausstellung geleitet. Mit Fußball habe ich ja so gar nichts am Hut, aber ich ließ mich ein und lernte allerlei Erstaunliches über Fans und ihren Ersatzgott. So gibt es in Dortmund einen Kreißsaal mit gelber Geburtswanne und BVB-Bild an der Wand, irgendwo in Italien hat jemand einen Diego-Maradona-Altar gebaut (mit einer „Reliquie“ in Form eines Haarbüschels), und manche Menschen heiraten im Stadion ihres Heimatvereins. Seltsamer Gedanke, aber es soll ja auch Leute geben, die sich unter Wasser das Ja-Wort geben, was mir kaum weniger merkwürdig erscheint.

Im diesmal sprühnebelartigen Regen überquerten wir den Barfüßerplatz zum Braunen Mutz, wo uns Suppe und niedliche kleine Pastetchen erwarteten. Nach einem kurzen Spaziergang (mit dem Schirm als wichtigsten Begleiter versteht sich) folgte die Abfahrt mit dem Bus ins Stapferhaus in Lenzburg zur Ausstellung „Geld – jenseits von Gut und Böse“, die uns von der Leiterin der Ausstellungshalle nähergebracht wurde, einem bezaubernden Wesen mit umwerfendem Charme und ansteckender Begeisterungsfähigkeit.

Paradies

Tolle Ausstellung! Ziel war, die Frage nach dem Wert des Geldes zu stellen ohne wertend zu sein. Und so steigt man zuerst eine Treppe hoch ins „Paradies“, einer Installation mit Goldeseln, Geldbäumen und Landschaften, in denen Gold und Geld statt Milch und Honig fließen, um sich dann von den mannshohen Köpfen einer Handvoll Denker und Ökonomen in Form eines multimedialen Streitgesprächs unterschiedliche Wirtschaftstheorien und -philosophien erklären zu lassen und an einer kleinen Umfrage zum Thema Geld und Glück teilzunehmen. Die Ergebnisse werden ständig aktualisiert und im nächsten Raum präsentiert. Dort gab weitere zum Teil erschreckende Statistiken, u.a. über die Verteilung des Reichtums in der Welt und die Ver(sch)wendung von Staatsgeldern, und man erfuhr, was wem „lieb und teuer“ ist – von einem Pfund Salz, über einen Quadratmeter Autobahn bis hin zum Louis-Vuitton-Täschchen und einer Flasche Luxuswein – alles spannend aufbereitet. In vier Beichtstühlen liefen Tonaufnahmen, von denen ich mir eine angehört habe: Eine Frau berichtete darüber, dass sie gegen Bezahlung an medizinischen Versuchen teilnimmt und sich dabei auch schon mal für ein paar Euro die Blase bis fast zum Platzen auffüllen ließ oder (für 3.000 Euro) wochenlang eine Zahnklammer trug, die sie zwischendurch immer in unterschiedliche, mehr oder weniger zahnschädliche Substanzen tauchen musste.

Statistik

Auch ich habe mir die Frage gestellt, wie wichtig mir Geld ist, wieviel ich davon brauche, um zufrieden zu sein, und was ich für Geld täte. Meine persönliche Antwort: Nichts, was mich Überwindung kostet, wofür ich meine Überzeugungen verraten muss oder was mir körperlichen Schaden zufügt. Aber ich weiß nicht, wie meine Antwort ausfallen würde, wenn es mir weniger gut ginge oder ich für etwas mir wirklich Wichtiges dringend Bares brauchte. Vielleicht würde ich dann doch mal in den Regenwurm beißen.

Zum Abschluss gab es noch das Dagobert-Feeling: ein Raum mit 200.000 Franken in 5-Rappen-Stücken – alles war voller Gold. So macht Geld direkt Spaß. Man wurde regelrecht wieder zum Kind, zumindest mal bis das Licht ausging und die Zusammenfassung eines Essays zu hören war, dessen Namen und Autor ich leider vergessen habe – auch hier wieder Gelegenheit, über das eigene Verhältnis zum Geld nachzudenken. Als kleines Abschiedsgeschenk gab es noch eine goldfarbene Münze. Auf der einen Seite ist „Gut“, auf der anderen „Böse“ eingeprägt, denn Geld ist immer so gut und so böse wie das, wann man damit anstellt.

Dagobert-Feeling

Am Abend waren wir zu einem Dinner in einem Restaurant neben dem Tinguely-Brunnen angemeldet, wo es dann auch Zürcher Geschnetzeltes gab – leider nicht mit Rösti, aber trotzdem lecker. Der Tinguely-Brunnen ist eine der Attraktionen von Basel: Zehn mobile Metall-Skulpturen einem großen Wasserbecken, die zum Teil aus der Bühnenausstattung des alten Stadttheaters gebaut wurden, das vorher hier stand. Sie schaufeln, gießen und sprühen Fontänen durch die Gegend. Manchmal sieht es so aus, als kommunizierte sie miteinander – ein bisschen wie Schauspieler auf einer Bühne. Passt ja.

Direkt dahinter steht jetzt das neue Theater, dessen Laufband über dem Eingang mir verriet, dass dort am nächsten Tag ein Stück mit dem Titel „Red‘ Du mir von Liebe“ gezeigt würde. Noch vor dem Dessert hatte ich herausgefunden, dass thematisch der „Zimmerschlacht“ von Martin Walser recht ähnlich ist, die ich vor Jahren mal gespielt habe. Klang interessant. Vielleicht etwas für den nächsten Abend. Dieser endete jedenfalls mit Gin & Tonic in der Hotelbar. Ob es geregnet hat? Ich weiß es nicht mehr, aber ich vermute es mal stark …

SONNTAG

Der Sonntag sollte lockerer werden: Stadtrundgang mit einem einheimischen Führer (und Schirm), gefolgt von der Paul-Gauguin-Ausstellung in der Fondation Beyeler. Die Stadtführung war interessant, aber die Bilder des Herrn Gauguin haben mich enttäuscht. Die hatte ich mir viel farbenprächtiger vorgestellt. Tatsächlich waren die im Shop käuflich zu erwerbenden Nachdrucke erheblich fröhlicher koloriert – offenbar ein Wunder der digitalen Nachbearbeitung. Möglicherweise waren die Originale irgendwann mal lebendiger und sind mit den Jahren verblasst, weil sich der Künstler nur billiges Material leisten konnte (hier hätte man mit Geld Sinnvolles tun können). Vielleicht hat er die Motive aber auch absichtlich nicht naturgetreu bunt-fröhlich gemalt. Dank Audioguide weiß ich jetzt mehr über das tragische Leben und den Seelenzustand des Herrn Gauguin und könnte das verstehen. Der größte Teil der Gruppe verabschiedete sich nach Ausstellung gen Frankfurt. Meine „mitreisende Person“, wie das die Dame im Hotel bei der Ankunft so nett politisch korrekt ausgedrückt hatte, und ich hingen noch einen Tag dran – und hatten Lust auf Theater am Abend.

Das am Vortag ausgeguckte Theaterstück überraschte mit einer innovativen Inszenierungsidee: Die Zuschauer saßen im Foyer des Theaters auf Stühlen und guckten nach draußen auf die Straße, wo das 2-Personen-Stück spielte. Inhalt: Paar in den besten Jahren kommt nach Party nach Hause und gerät in einen zunächst harmlosen Streit, der eskaliert – bis hin zum „was man sich schon immer mal sagen wollte“. Zum Schluss ist dann wieder alles gut.

Die Stimmen wurden per Mikrofon nach innen übertragen. Die Passanten hörten und sahen natürlich im Vorbeigehen zu und reagierten zum Teil. Das war nicht nur für die Zuschauer spannend, sondern forderte auch hin und wieder das Improvisationstalent der Spieler. Statt der angekündigten 1 Stunde 10 Minuten dauerte es nur 50 Minuten. Ob sie ein paar Seiten gesprungen sind (das passiert ja schon mal) oder die Regie nach Drucklegung des Programmhefts kräftig gestrichen hat, weiß ich nicht. Die Besetzung war suboptimal: der kurze dunkelhaarige Mann um die 50 und die lange blonde Frau von gefühlten 25 wirkten wie „zu kleiner Mann mit schöner großen Geliebten“ und nicht wie ein etabliertes Ehepaar. Sie spielte zudem über weite Strecken sehr unterkühlt, fast teilnahmslos.

Ich hätte mir auch mehr Machtpositionswechsel gewünscht und gerne öfter gesehen, dass böse Worte Wirkung zeigen. Denn Status-Wechsel und beklemmende Pausen machen einen Streit auf der Bühne für die Zuschauer erst spannend. Es war dennoch ein guter Theaterabend, gefolgt von einem richtig guten Essen im feinen Restaurant Schlüsselzunft, einem Gin Tonic in der Hotelbar und sieben Stunden Schlaf am Stück – mein persönlicher Jahresrekord.

MONTAG

Am nächsten Morgen: Überraschung! Sonnenschein – T-Shirt-Wetter! Nach einem späten Frühstück nahmen wir uns ausgiebig das Münster vor, das das Grab von Erasmus von Rotterdam beherbergt und dessen Innenausstattung 1529 Opfer des Bildersturms geworden war. Als Kirche einer evangelisch-reformierten Gemeinde kommt es bis heute abgesehen von der prächtigen Kanzel recht schmucklos daher. Die Architektur wird dadurch allerdings umso klarer und beeindruckender. In sportlicher Höchstleistung bekletterten wir beide Türme, die nach den Ritterheiligen Martin und Georg benannt sind. Etwa 300 Stufen in sehr engen Aufgängen haben wir dazu erstiegen, und wurden mit tollen Aussichten belohnt.

Quelle: Wladyslaw Sojka www.sojka.photo

Quelle: Wladyslaw Sojka http://www.sojka.photo

Außen am Münster fiel uns eine Sonnenuhr auf, die falsch geht. Vor ein paar hundert Jahren hatten die Basler nämlich eine eigene Zeitmessung, was für Durchreisende sicher nicht immer lustig war. Sie zählten den Mittag und die Mitternacht nicht als zwölfte abgelaufene, sondern als erste Stunde. Statt auf die zwölf fällt der Mittagsschatten der Sonnenuhr deshalb auf die eins. Basel ging also eine Stunde vor. Nach gut anderthalb Stunden war uns trotz der Stufen nach einem Spaziergang. Wegen des vielen Regens an den Tagen zuvor war der Rhein so voll, dass die Fährbootchen nicht fuhren – sehr schade; das hätte mir gefallen. Wir nahmen uns also eine Brücke, um uns Kleinbasel anzusehen, dessen Hauptattraktion aus meiner Sicht das Messegebäude ist.

Messe

Ansonsten erinnerte es mich stellenweise an die hintere Zeil in Frankfurt. Zurück auf der schönen Seite haben wir nach einem Crêpe in einem zauberhaften kleinen Café, das ich gerne statt einem der gefühlten 17 Souvenirläden auf dem Römerberg sähe, unsere letzten Franken in Luxusschokolade umgesetzt. Im Kaufrausch mussten wir am Ende sogar noch ein paar Euros drauflegen.

Nach einer unspektakulären Fahrt zurück in einem fast leeren Zug waren wir am Abend pünktlich, weil noch vor dem Bahnstreik, wieder in Frankfurt.

Mein Fazit: Vier Tage mit lauter netten und interessanten Menschen, größtenteils spannenden Ausstellungen und durchweg gutem Essen in einer Stadt, die mehr zu bieten hat als ihre Größe vermuten lässt. Ich habe viel gesehen und einiges gelernt. Wer bis Ende November in der Gegend von Basel ist, sollte sich die Geldausstellung ansehen – mein persönliches Highlight dieses Wochenendes. Im nächsten Jahr geht es wohl nach Helsinki. Ich bin gerne dabei.

Neulich im Schauspiel Frankfurt

26 Sonntag Apr 2015

Posted by anette quentel in People & Places, Schauspiel Frankfurt

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Blog, Macbeth, Quentel, Schauspiel Frankfurt

yves-klein

MACBETH – ein Bastard von Dave St-Pierre und William Shakespeare. Bereits beim Einführungsgespräch vor der Vorstellung war klar, dass ich am letzten Mittwoch kein „Well made Play“ zu sehen bekommen würde. Eine assoziative Inszenierung sollte es werden, düster, musikalisch und tanzgeladen. Das klang nach Regietheater, also spannend und innovativ, denn alten Wein in neuen Schläuchen braucht kein Mensch. Und so nahm ich irgendwo in der dritten Reihe Platz, ganz dicht am Geschehen und bereit für einen Abend, der laut Dramaturgin einer unheimlichen Reise gleichen sollte. Zunächst war es mal vor allem unheimlich dunkel, und das sollte es in den folgenden knapp zwei Stunden bleiben. Begleitet von wummernder Elektromusik tanzwälzten sich die Hexen und Hektate in zäher blauer Farbe – auch mal eine Art Kostüm – um irgendwann ihre Prophezeiungen auf Tafeln zu schreiben. Ja, und wann geht es richtig los, fragte ich mich. Es ging nicht los. Es ging weiter. Bild auf Bild, mal eindrucksvoll-prägnanter, mal schmerzhaft in die Länge gezogener Ausdruck von Seelenzuständen. Assoziationen, die sich mir trotz zum Teil vielfacher Wiederholungen und Variationen nicht erschlossen. Zu fremd war mir die Denke des frankokanadischen Choreographen, der sich hier in Deutschland erstmals an der Regie eines Theaterstücks versuchte. Zu fremd auch das Medium Tanz. Anderen erging es offenbar ähnlich: einige schliefen, andere flohen. Wer blieb, wildentschlossen, sich dem ungewohnten Spektakel zu öffnen, wurde mit dem einen oder anderen intensiven Moment belohnt. Spannend wurde es immer dann, wenn die Schauspieler das taten, was sie können: Schauspielen. Leicht hat ihnen das der Regisseur nicht gemacht. Schließlich hat er sie der Sprache und damit einer ihrer wichtigsten Ausdrucksformen beraubt. So verschwand Shakespeare, zusammengestrichen auf gefühlte 1,5 Seiten (tatsächlich sollen es fünf gewesen sein) unter viel blauer Farbe und kunstvollem Bondage auf fast nacktem Körper, in Tongebilden und hinter Bewegungsorgien, die den Spielern zum Teil sehr sportliche Leistungen und viel Körperbeherrschung abverlangten. Verwirrt verließ ich den Saal und fragte mich, warum ein Künstler, dem Worte und Sprache offenbar so wenig bedeuten, in einem fremden Land einen britischen Klassiker mit Schauspielern inszeniert und nicht einfach ein Ballett schreibt. Das könnte er dann mit professionellen Tänzern umsetzen und würde womöglich Begeisterungsstürme auslösen. Die sind am Mittwoch ausgeblieben. Antwort auf meine Frage erhoffte ich mir aus dem anschließenden Publikumsgespräch. Das Ensemble war vollständig versammelt, die Dramaturgin moderierte. Anstrengend, ungewohnt aber aufregend sei es gewesen. Darin waren sich alle einig. Irgendjemand merkte an, dass man den Regisseur selten zu Gesicht bekommen hätte … Wirklich erhellend war aber der Hinweis einer Schauspielerin, dass dieser eigentlich ein anderes Konzept im Sinn gehabt hatte, aber an den natürlichen Grenzen der Tanzfähigkeiten der Ensemblemitglieder gescheitert sei. Ha, das kenne ich aus dem Amateurtheaterbereich. Hier scheitern regelmäßig Regie-Konzepte an den schauspielerischen Grenzen der zur Verfügung stehenden Spieler. Ich habe beschlossen, den Abend als das Ergebnis eines Experiments zu betrachten. Aus meiner Sicht ist es gescheitert, aber ich freue mich für die Schauspieler, die sich ausprobieren konnten. Das ist an Stadttheatern eher selten möglich. Für mich als Zuschauer gilt allerdings: lieber gutes (Regie)Theater als fast gutes Ballett UND lieber Macbeth und seine Lady mit den ihnen zugedachten Worten als einen Bastard von viel St-Pierre und wenig Shakespeare. (Bilder von Yves Klein, Quelle: scraphacker.com)

Neulich in der Komödie

15 Sonntag Mär 2015

Posted by anette quentel in Komödie, People & Places

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Blog, Komödie, Quentel

Wer mich kennt, weiß, dass ich mich mit Boulevardtheater manchmal schwer tue. Aber von Zauberhafte Zeiten in der Komödie hatte ich Gutes gehört und gelesen: Zwei junge Leute teilen sich aufgrund widriger Umstände ein Appartement. Er verliert den Job (Wallstreet-Händler), sie ist ihren leid (Krankenschwester) und kommt auf die Idee, als Zauber-Duo aufzutreten. Mit Unterstützung seiner Mutter setzen sie den Plan um. Sie proben wochenlang, sind nach ersten Rückschlägen erfolgreich und werden auch noch ein Paar. Klingt nach einer netten Story. Schwiegermütter-Geschichten können witzig sein, das mit der Zauberei weckte meine Neugier und gegen einen Theaterabend mit Happy End hatte ich an diesem Samstag auch nichts einzuwenden.

Aus der Ticket-Odyssee im Zootheater (siehe Blogbeitrag „Neulich im Zootheater“) hatte ich gelernt und deshalb telefonisch ein Kärtchen geordert und auch gleich per Kreditkarte bezahlt, so dass ich es zu jeder beliebigen Zeit an der Abendkasse abholen konnte. Meine beliebige Zeit war Viertel vor acht. Die Abendkasse gehört mir allein. „Guten Abend, für mich liegt hier ein Ticket.“ Die Dame an der Kasse sah mich an, als würde ich mich hier einschleichen wollen, fragte aber nicht nach meinem Namen sondern wehrte erst mal pauschal ab. „Für Sie? Nicht, dass ich wüsste.“ Ich: „Doch, ich hatte angerufen.“ Sie: „Ja, nein, muss gucken.“ Mein Ticket lag dort. Die erste Hürde war überwunden, und die zweite (Freitreppe nach unten auf 12cm hohen Absätzen, ohne total albern auszusehen) war auch zu meistern.

Im Vorraum zum Saal hatten sich schon fast alle Zuschauer versammelt. Die Herren blickten im Schnitt etwas weniger glücklich drein als die Damen. Sie waren offenbar nicht ganz freiwillig hier. Die Damen nippten hingegen erwartungsvoll an ihren Gläschen, guckten, wie die anderen so guckten, und musterten einander interessiert – allzeit bereit, die eine oder andere lästerliche Anmerkung abzusondern. Ich folgte ihren Blicken. Vertreten war so ziemlich alles vom engen Samtkleidchen mit Strassbehang (und zu enger Unterwäsche drunter) bis hin zur Cargo-Hose mit Strickpulli – keine Highlights des schlechten Geschmacks, weshalb ich an dieser Stelle auf eine umfassendere Mitlästerei verzichte. Der unsägliche Big-Ben-Glockenschlag mahnte, die Plätze einzunehmen. Ich saß 3. Reihe Mitte, die Plätze vor mir waren frei. Glück gehabt.

Der Herr Intendant Professor Helmer mahnte uns wie üblich vom Band, nicht zu vergessen, das Handy nach der Vorstellung wieder einzuschalten – netter Witz, der wie alle Witze dieser Welt allerdings nur beim ersten Mal witzig ist.

Es ging los – mit Frank Sinatras „New York, New York“. Wir befanden uns also in den USA, genauer gesagt im Appartement des Yuppies Chris, gespielt von einem Mann mit einem kleinen „S-Fehler“, dessen Gesicht keines seiner 55 Lebensjahre verbergen konnte. Warum besetzt man so? Es gibt doch zahllose hochtalentierte arbeitsuchende Jungmimen. Die fehlende Jugend versuchte er durch ein lausbubenhaftes Dauergrinsen wettzumachen, was nicht nur erfolglos sondern spätestens nach zehn Minuten ebenso nervig war wie seine übrigen aufgesetzten Grimassen. Ihm zur Seite hatte die Regie eine Kollegin gestellt, der man knapp die Hälfte ihrer 40 Lebensjahre nicht ansah (nicht mal aus der 3. Reihe). So ganz glaubwürdig war diese Paarkonstellation also nicht. Abgerundet wurden die Besetzungssünden durch Chris‘ Mutter: großgestig, knapp 70 und entweder nur schlecht auf 50 heruntergeschminkt oder übel auf 40 herunteroperiert. Da will ich jetzt mal nicht weiter spekulieren. Einzig der Postbote Stefan Schneider passte, aber Postboten passen immer.

In der ersten halben Stunde geschah quasi nichts, außer der Einführung in Situation und Charaktere, was angesichts deren einfachen Struktur wirklich nicht nötig war. Lustig war allenfalls, zu beobachten, wie sich der falsche Bauch des Postboten beim Sitzen verschob und aussah wie ein hastig unters Hemd geschobenes Sofakissen. Und ja, wer Kalauer und Slapstick-Einlagen mag, hat sicherlich auch hin und wieder gelacht. Ich kann mir bei Handtuch-Rangeleien, die mit dem rückwärtigen Sturz der Kämpfer enden, oder auch bei einem Karussell der Marke „ich trag die Koffer ein paar Mal vor die Tür und Du schleppst sie immer wieder herein“ allenfalls ein müdes Lächeln abringen. Sollte wohl für Dynamik sorgen.

Gute Boulevard-Komödie lebt auch von überzogenen Charakteren, aber darauf hat Regisseur Folker Bohnet, den ich als Schauspieler kenne und mag, verzichtet. Schade, das hätte der gestrigen Inszenierung wirklich gut getan. Aber Chris hätte genauso gut Bio-Gemüse- wie Wall-Street-Händler sein können, und die frustrierte Krankenschwester Debbie wäre auch locker als taffe Fitnesstrainerin durchgegangen. Sie tanzte, joggte und gymnastikübte sich durch das Stück. Der erste Teil endete mit einem gelungenen Zaubertrick. Na endlich! Bis dahin hatte ich zwei Mal gelacht, vier Mal geschmunzelt und war drei Mal beinahe eingenickt.

In der Pause belauschte ich den Kurzvortrag eines Hobby-Zauberers, der zuerst darauf hinwies, dass Zauberer die Tricks ihrer Kollegen nicht verraten dürfen (Zauberer-Ehrenkodex), um dann seinen Zuhörern beflissen zu erklären, wie kurz zuvor aus dem roten Tuch in Chris Hand ein rotes werden konnte …

Nach der Unterbrechung hatte ein Sitzplatzwechsler mit 2×2-Meter-Silhouette zugeschlagen, sich vor mich geschummelt und so für seinen Ticketpreis von vermutlich 20,50 den 33-Euro-Blick ergattert. Ich grummelte, war aber angesichts seines Formats zu feige, mich mit ihm anzulegen. Der zweite Teil schloss sich zunächst nahtlos an den ersten an: Grimassen, Gymnastik, große Gesten, Kalauer und der Fortgang der vorhersehbaren Geschichte auf der Bühne, quittiert von 2 bis 3 Mal Lachen oder Schmunzeln und mehreren Beinahe-Nickerchen in der Mitte der 3. Reihe. Die Zauberei-Übungen haben das schlimmste verhindert. Apropos schlimm: Bemerkenswert schlecht, weil eine zusammenhanglose Plattheit, war der „Moment der Wahrheit“. Chris gesteht Mama, dass er seinen Job verloren hat. Mama entgegnet so etwas wie: „Aber ich bin doch immer stolz auf Dich, mein Sohn“. Oh Mann!

Während meines Kampfes gegen den Theaterschlaf, der ja laut Shaw auch eine Form der Kritik ist, fielen mir noch einige Ungereimtheiten auf. Wie kommt es zum Beispiel, dass man urplötzlich nach Wochen bemerkt, dass ein Postbote, der angeblich jeden Tag Pakete bringt, 20 kg abgenommen hat. Und seit wann verbrennt man beim Bügeln ein Hemd, wenn man erschreckt wird. Für mich wäre das Ganze ein durch und durch vergeudeter Abend geworden, wenn nicht irgendwann doch noch die Zaubershow gekommen wäre. Die war wirklich gut gemacht und (zumindest für mich stets verzauberungsbereite Magie-Rezipientin) nicht durchschaubar … bis hin zur „Enthauptung“ von Chris. Wie sehr sich der Darsteller beim Zaubern und Sterben anstrengen oder konzentrieren musste, war wegen seines Grimassierens und Dauergrinsens nicht auszumachen – ein Grinsen, das auch bei den Vorhängen (von denen mindestens zwei durch die Applausordnungs-Regie erzwungen waren) wie festgetackert auf seinem Gesicht lag, und das mich noch auf dem Nachhauseweg verfolgte.

Ich glaube, ich lege jetzt erstmal ein paar Wochen Boulevardtheater-Pause ein.

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