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Montag, 29. Dezember 4:50 Uhr. Was für eine unchristliche Zeit – selbst für ein „Huhn“ wie mich, dem überzeugte Langschläfer eher suspekt sind. Nach einer extrem kurzen Nacht (Sind vier Stunden überhaupt schon mit gutem Gewissen Nacht zu nennen?) und den üblichen letzten Reisevorbereitungen wie Duschen, Kaffeetrinken, Heizung herunterregeln und Müll wegbringen, mache ich mich gegen sechs Uhr auf den Weg nach Nizza, zu einem dreitägigen Kurztrip, um mich mit Freunden zu treffen. Das Taxi passiert den Irish Pub an der Kurt-Schumacher-Straße, dessen offene Tür nicht nur den Blick auf einen sehr furchtbaren in psychodelischen Farben blinkenden Plastikweihnachtsbaum freigibt, sondern auch den Blick auf einen jungen Mann freigibt, der mit einer seltsam aufrechten Kopfhaltung und undefinierbarem Blick seinem Kumpel an der Theke mit einer klaren Flüssigkeit zuprostet. Form und Größe des Glases lassen nicht auf Wasser schließen. Ob sie wohl die Restgäste des gestrigen Abends oder die Erstgäste des heutigen Morgens sind? Egal: „Prost Jungs!“ In der Berliner Straße steigt Ralf zu mir ins Taxi, dessen Flieger zur gleichen Zeit startet wie meiner nach Nizza – ein purer Zufall, der uns den halben Taxipreis sparen lässt.
Es schneit leicht, die Straßen sind fast leer. In der vorüberquietschenden Straßenbahn sitzt eine einzige Frau. Sie sieht müde aus. Ich sicher auch, aber mittlerweile fühle ich mich hellwach. Im Radio laufen die Nachrichten. Irgendwo ist ein Flugzeug abgestürzt – ein beruhigender Gedanke, auch wenn es mir für die Familien der Opfer leidtut. Beruhigend, weil noch nie zwei Flugzeuge an einem Tag abgestürzt sind. Der Flughafen präsentiert sich noch im Weihnachtskleid. Alles glitzert und tönt besinnlich. „Weihnachten wird überbewertet“, hat mir kürzlich ein Freund geschrieben – von wem, frage ich mich. Entweder man ist ein Fan und freut sich auf die Zeit, oder man weiß von vorneherein, dass es stressig oder auch öde wird. Mein Weihnachten war vornehmlich einsam und ziemlich langweilig, aber das habe ich vorher gewusst, und ich habe es überlebt.
Ralf und ich sind ein bisschen zu früh dran, weil zu dieser Zeit am Flughafen noch nichts los ist und sich unsere Erwartung langer Schlangen erfreulicherweise nicht erfüllt. Also trinken wir noch einen Kaffee zusammen. Unsere Gates liegen fast nebeneinander. Dann geht jeder seines Wegs. Hat durchaus etwas Symbolhaftes und wäre eine gute Schlussszene für einen Film ohne Happy End. Trotzdem lächelnd mache ich mich auf den Weg zum Flieger und erhasche beim Einsteigen einen Blick ins Cockpit. Der Pilot ist sehr jung, hat einen kahlen Kopf und große abstehende Ohren. Sicher hat er seine Karriere als Segelflieger begonnen. Der Mittelgang im Flieger ist verstopft, und bis man mich bis zur Reihe 19 durchgeschoben hat, gibt es keinen Platz mehr in den Gepäckfächern. Ich stehe ein bisschen ratlos herum, schiebe lustlos ein paar fremde Jacken hin und her, halte so die ganze Schlange hinter mir auf (erste knurrende Laute sind zu vernehmen) und wende mich dann an einen weiblichen Engel der Lüfte, der mich seit drei Minuten untätig beobachtet. Vielleicht ist sie einfach nur müde, was ich angesichts der Zeit durchaus verstehen kann, aber so müde, dass sie mein Koffer-Unterbringungsproblem nicht erkannt hat, kann sie eigentlich nicht sein. Also werte ich es mal als Unlust – soll vorkommen. Auf meine ausdrückliche Bitte um Hilfe hin bewegt sie sich mit routinierter Grazie auf mich zu und bequemt sich tatsächlich, ein bisschen Platz im Gepäckfach zu schaffen – lustlos, wusst‘ ich’s doch. Mein „Danke“ wird mit einem professionellen „gerne“ quittiert, das sich auch in Restaurants zunehmend breit macht und mir allmählich ganz schön auf den Senkel geht. Hin und wieder verwirre ich die Gerne-Roboter mit der Frage „Wirklich?“, was häufig lustige Reaktionen auslöst. Hochheben muss ich den Koffer selbst. Vor zwanzig Jahren wäre mir sicher irgendein junger Mann helfend zur Seite gesprungen. In zwanzig Jahren wird das wieder so sein, wenn auch aus anderen Gründen. Bis dahin stemme ich meine Koffer halt allein.
„Abflug um 7 Uhr 30“ stand überall, aber das war eine glatte Lüge. Zuerst galt es, die Fliegerflügel zu enteisen, was etwa 30 Minuten dauerte, dann war kein Abflug-Slot frei, was weitere 15 Minuten kostete. Dann endlich in der Luft. Als Snack gab es wahlweise Joghurt oder Sandwich – habe beides abgelehnt und mich auf einen Plastikbecher totes Wasser beschränkt (das gestrige Dinner im Hessischen Hof war reichhaltig). Nach etwa einer Stunde gab es heftige Turbulenzen, die der einen oder anderen Passageuse einen kleinen Kiekser entlockten – très charmante.
Nach einer unspektakulären Landung begrüßen mich ein himmelblauer Himmel, sehr sonniger Sonnenschein, Segelboote vor der Küste, Palmen an der Promenade, alles in einen goldenen Farbton getaucht: Wintergold. Südfrankreich, wie man es sich vorstellt, allerdings in einer ziemlich kalten Ausführung.
Es herrschen gefühlte 5°C. Ich werde in einem ziemlich neuen und ziemlich großen schwarzen Mercedes die Küste entlang in gen Hotel chauffiert – von einer jungen Frau, die mich auf Französisch anspricht (wie auch sonst; wir sind in Frankreich). Ich höre mich auf Französisch antworten und staune über mich selbst. Die Sprache fühlt sich zugleich fremd und vertraut an. Die Karosse ist überheizt, aber die Kleene trägt einen von diesen Michelin-Männchen-Mänteln, in denen man selbst mit Größe 34 wie eine Tonne aussieht. Ich mache irgendeinen Scherz, den sie offenbar versteht und der sie zum Lachen bringt. Mein Lachen findet hingegen ein jähes Ende, als sie mich nach etwa 3km Fahrt vor dem Hotel West End abliefert und mir dafür 40 Euro abverlangt. Das sei unüblich teuer, meint kurz darauf auch der nette etwas zu kurz geratene Silvio am Empfang im Hotel. Hmmm, vielleicht hätte ich nicht das Designermäntelchen anziehen sollen. In so etwas wirkt man wohlhabender als man ist. Monsieur Silvio hat für mich die Mitteilung, dass mein Zimmer erst um 15 Uhr fertig sein wird, was ich mit einem kurzen gut gesteuerten Stirnrunzeln, gefolgt von einem duldenden Lächeln hinnehme. Er registriert natürlich, dass mir das nicht gefällt. Dann kommt wieder diese Frage, die ich irgendwie nicht mag: „Sie reisen alleine, Madame?“. Meine Antwort: „Oui, malheureusement.“ (zu Deutsch „unglücklicherweise ja“) scheint Mitleid zu erwecken – muss ich mir merken. Er telefoniert kurz und organisiert mir ein Zimmer, das schon bezugsbereit ist, und begleitet mich noch rauf in eine für deutsche und andere europäische Verhältnisse winzige Stube. Zum Glück bin ich nicht voluminös. Angesichts der Enge empfinde ich es für einen Moment als ganz angenehm, dass Madame allein reist ….
Jetzt mache ich mich auf den Weg zu Christian und Jon, die im Negresco-Prachtbunker nebenan wohnen, und mir schon eine SMS geschickt haben, wo ich denn bleibe…
Immer noch Montag, 29. Dezember, aber nicht mehr lange Am Nachmittag sind wir an der Promenade entlang und dann in der Altstadt herumspaziert. Viele lächelnde Menschen. Alle wirken entspannt. Zu sehen gibt es eine Unzahl kleiner Lädchen mit mehr oder weniger interessantem Angebot, aber auch viele schöne kleine Plätze und tolle alte Häuser. Die Verkäufer sind überhaupt nicht aggressiv, sondern warten bescheiden auf Kundschaft. Ganz anders die Gästeeintreiber der Restaurants. Ich erklärte etwa 12 Mal in mindestens drei Sprachen, dass wir schon gegessen haben. Das war zwar gelogen, aber ein Totschlagargument. Chris und Jon haben einen Kühlschrankmagneten mit ihrem Hotel drauf als Souvenir erstanden. Mir war nicht nach Andenken-Shopping, bin ja gerade erst angekommen und wer weiß: Vielleicht möchte ich mich ja später gar nicht an die drei Tage hier erinnern. Von der Altstadt aus haben wir uns den Colline du Chateau hinauf gearbeitet, den Hausberg von Nizza, der einen Park und viele schöne Aussichten bieten soll (viele Treppen). Auf dem Weg nach oben ein kurzer Abstecher auf einen jüdischen Friedhof. Es war ganz still und schön schaurig. Die Toten werden hier nicht unbedingt in der Erde sondern häufig in marmornen Gruften aufbewahrt, was den Friedhof fast wie eine kleine Stadt wirken lässt. Auf vielen Gruften stehen Fotos. Wenn man sie eine Weile anschaut, bekommt man fast das Gefühl, man hätte den oder die Verstorbene(n) gekannt, und trauert ein bisschen mit.
Nach einer Viertelstunde zogen wir weiter in Richtung Hügelkuppe, wo tatsächlich viele tolle Ausblicke aufs Meer, die Stadt und den Hafen warteten. Mittlerweile war es so warm, dass ich mich von etwas Stoff befreit (nur an den Schultern, versteht sich) und ein kleines Sonnenbad genommen habe – unter einem unverschämt blauen Himmel und bei einem guten Cappuccino vom Kiosk. Die Buben haben ein bisschen gespottet, aber das macht nichts.
Auf dem Rückweg dann die Beinahekatastrophe. An einem Aussichtspunkt erreichte mich die SMS von Simone, die sich erkundigte, ob ich noch vor dem großen Schnee aus Frankfurt herausgekommen sei. Ich habe ihr direkt geantwortet und mein iPad solange auf einer Mauer geparkt. Die Jungs waren schon vorweg gelaufen, so dass ich mich beeilt habe, um sie nicht warten zu lassen. Nach dem Abstieg (wieder viele Treppen) sind wir in einem französischen Restaurant in der Altstadt gelandet, das hausgemachte Foie Gras (tierpolitisch absolut inkorrekt, aber in der Regel sündhaft gut) und verlockende Desserts anbot – zwei gute Gründe zu bleiben. Kurz nach der Bestellung griff ich nach dem iPad, um nachzusehen, was ich so alles fotografiert habe – allein der Griff ging ins Leere. Das iPad war weg! Es folgte zunächst die übliche wilde Durchsuchung meiner Monsterhandtasche, in deren Tiefen so ein Gerät schon mal verloren gehen kann – diesmal leider nicht. Dann haben wir rekonstruiert, wann ich es das letzte Mal in der Hand hatte. Ergebnis: am letzten Aussichtspunkt.
Ich hatte das kostbare Endgerät offenbar auf der Mauer liegengelassen. Chris meinte, ich könne mein weiß-goldenes Prachtstück getrost vergessen und fing an zu überlegen, über welche meiner Versicherungen man das abwickeln kann. Ich meinte aber, es gäbe so viele ehrliche Menschen auf der Welt. Vielleicht habe es ja jemand gefunden und irgendwo abgegeben. Jon hielt das für unwahrscheinlich, aber nicht für ausgeschlossen. Chris lächelte mitleidig, aber keiner hielt mich davon ab, den Haushügel ein zweites Mal zu besteigen (also nochmal viele Treppen). Als ich atemlos am Mäuerchen des Vergessens ankam, war natürlich nichts mehr zu finden. Nächste Station: der nahe Kiosk. Auf dem Weg dorthin stürzte ein etwa zehnjähriger Junge beflissen auf mich zu und fragte auf Deutsch, ob ich vielleicht mein iPad suchte. Ich sähe ein bisschen verzweifelt aus. Auf mein eifriges Nicken führte er mich zu seinem Vater, der berichtete, Holländer hätten mein Ei-Teil gefunden, den deutschen Spruch auf der Rückseite gelesen und ihn gefragt, ob es vielleicht seines sei. (An dieser Stelle bitte ich höchst offiziell alle Einwohner der Niederlande für meine vielen lästerlichen Bemerkungen über Wohnwagen, Käse und Heringe um Verzeihung.) Er habe das iDing dann im Restaurant auf der Spitze des Hügels abgegeben. Dort dort angekommen gab es mir die Kellnerin mit deutlichem Bedauern zurück – sehr verständlich, denn wenn ich nicht aufgetaucht wäre, hätte sie ein neues iPad gehabt. Glück gehabt, viel Organisationskram und eine Menge Geld gespart!
Das Beste an der ganzen Geschichte ist aber der Beweis, dass es tatsächlich noch ehrliche Menschen gibt. Zurück im Restaurant am Fuße des Hügels war Chris einigermaßen erstaunt und ich sehr glücklich. Seltsam, dass es glücklicher macht, etwas zurückzubekommen, dass man verloren geglaubt hat, als es gar nicht erst zu verlieren.
Wir haben dann mittelmäßig gut gegessen und uns gegen vier Uhr auf den Weg zurück zu den Hotels gemacht. Chris hatte sich die Hose mit der leider etwas zu fetten Foie Gras eingewutzt und wollte schleunigst aus ihr raus. Für später haben wir uns zu einem Gin Tonic bei Sonnenuntergang in einer kleinen Open-Air-Bar am Strand verabredet, die im Sommer bestimmt total überlaufen ist. Heute waren wir die einzigen Gäste. Am Strand schlenderten ein paar Unverzagte herum, die sich von Temperaturen von etwa 7° nicht ihre Lust an Meer und Strand vermiesen ließen, und ein paar Angler wurden in der untergehenden Sonne allmählich zu Scherenschnitten. Ja, ich weiß, eigentlich sehen alle Sonnenuntergänge gleich aus. Aber alle sind schön. Und sie sind voller Hoffnung, weil man sich sicher sein kann, dass die Sonne niemals für immer geht.
Als uns kalt wurde, sind wir eine Stunde durch die Stadt gelaufen und haben am Bahnhof gecheckt, wann Züge nach Monaco fahren. Chris will da morgen unbedingt hin. Bei meinem letzten Besuch fand ich es dort „unspektakulär bis hässlich“, aber ich fahre trotzdem mit. Er hat einen Contest mit einem Kumpel laufen, wer die meisten Länder bereist. Bei ihnen gilt Monaco als Land. Als Beweis zählen einschlägige Fotos. Ich bin sicher, es wird ihm dort auch nicht sonderlich gefallen, aber das gehört zu den Dingen, die man selbst erfahren muss.
Den restlichen Abend haben wir bei Weißwein, korsischem Käse und Schinken in einer Weinbar am Rande der Altstadt verbracht. Es gab leckeren Sancerre für ein unverschämtes Geld, aber egal. Mein Hotel war ja relativ günstig. Seit elf bin ich wieder in meiner Puppenstube (ziemlich nüchtern, aber todmüde nach der vielen Herumrennerei), und habe feststellen müssen, dass die hier ziemlich gut heizen und man die Temperatur nicht selbst regeln kann. Wegen der bitteren Kälte ist ein offenes Fenster allerdings keine Option, weil mir sonst vermutlich der Tod durch Erfrieren droht. Also: Fenster zu und auf der Decke schlafen.
Dienstag, 30. Dezember, 7 Uhr 30 Das mit dem Einschlafen ging ratzfatz, zumal es hier nur französische Fernsehsender gibt, und ich mich sehr anstrengen muss, um der Handlung zu folgen. So toll ist mein Französisch nämlich doch nicht mehr, wie ich nach dem gestrigen ersten Überschwang schnell gemerkt habe. Trotzdem macht es Spaß, ein paar Tage dreisprachig zu kommunizieren. Jon spricht kein Deutsch, so dass wir zu dritt immer Englisch reden. Wenn er kurz weg ist, sprechen Chris und ich natürlich Deutsch, und mit den Franzosen hier versuche ich es auf Französisch.
Nach einem wie immer ziemlich furchtbaren Instantkaffee, den mir das Hotel nebst Wasserkocher gratis zur Verfügung stellt, warte ich jetzt auf den sicheren Sonnenaufgang, den ich sogar von meinem Bett aus bewundern kann. Das Hotel liegt an der Küstenstraße, die sich gerade belebt, und an der Promenade sind schon die ersten Jogger unterwegs (das sollte mir mal einfallen). Nachher brauche ich wohl die Hilfe von Silvio von der Rezeption. Der wunderbar antike Safe ist so sicher, dass ich ihn nicht mehr aufbekomme. Ich bin aber überzeugt, dass mir geholfen werden kann. Der Raucherin in mir ist hier hingegen gar nicht zu helfen, weil im Hotel Rauchverbot herrscht und mein „Balkon“ ein „französischer Balkon“ ist, also eigentlich gar keiner, sondern ein halbhohes Gitter vor dem bodentiefen Fenster. Macht nix – nicht rauchen ist auch ok.
An der Kundenfront ist es ruhig, obgleich doch gestern ein Arbeitstag war. Wahrscheinlich geht es erst in der nächsten Woche wieder richtig los. Ob die alle in Nizza sind? Die Stadt und die Promenade sind am Tage nämlich brechend voll.
Um viertel nach acht kommen die Buben zu mir ins Hotel zum Frühstücken.
Dienstag, 30. Dezember, 23 Uhr Der Kellner hat heute Morgen ein bisschen seltsam dreingeblickt, als ich ihm sagte, die beiden Herren seien meine Gäste – einen Penny für seine Gedanken ….
Nach der Stärkung an einem Buffet, das abgesehen von der Tatsache, dass es Rühreier aus dem Tetrapack gab, keine Wünsche offen ließ, machten wir uns auf den Weg nach Monaco. Der 2,8km² kleine Stadtstaat mit seinen etwa 37.000 Einwohnern, von denen ungefähr 80% auf Nicht-Monegassen entfallen, ist in den letzten Jahren nicht schöner geworden. Ein Haus neben steht dem anderen und es gibt viele Autos (darunter allerdings ein paar wirklich schöne Exemplare, die man selten sieht), deren Fahrer die Verkehrsregeln frei interpretieren. An unserer ersten Station (Hotel de Paris und Casino) schoss Christian gleich mal die Beweisfotos für seinen Kumpel.
Dann sind wir das Küstensträßchen entlang nach unten an den Hafen gelaufen, um festzustellen, dass Weihnachten hier etwas länger dauert als üblich. Der Weihnachtsmarkt war noch in vollem Gange – eine spannende Sache für Jon, der Philippine ist und in Singapur lebt. Auf dem Weg haben wir mal einen scheuen Blick auf die Immobilienangebote geworfen und festgestellt, dass wir uns selbst dann kein 50m²-Appartment in Bestlage leisten können, wenn wir alle unsere Rücklagen zusammenwerfen würden. Macht aber gar nichts. Hier würde eh‘ keiner von uns wohnen wollen. Die Tatsache, dass es auf dem Weihnachtsmarkt zwar keine Mohrenköpfe gab, aber dafür einen Stand, der flaschenweise Champagner verkaufte, und das Snackangebot an Austern mit Chablis hat uns in dieser Meinung nur bestärkt. Glühwein gab es aber auch, und den haben wir gekostet – war lecker.
Mit ein bisschen Überredung ist es mir dann gelungen, die Buben, für einen Aufstieg in die Altstadt und zum Grimaldi-Domizil zu gewinnen. Sie haben zwar etwas gemurrt, waren dann aber froh, die sportliche Einlage ertragen zu haben. Enge Gassen gibt es hier zwar auch, aber die sind pittoresk und nett anzusehen. Wenn man sich hindurchgezwängt und allen Andenkenverlockungen wiederstanden hat, wird man mit einem tollen Ausblick belohnt. Nach einer kleinen Stärkung haben wir (auf Wunsch von Chris) einen Abstecher zum Grab von Gracia Patricia gemacht.
Dann haben wir uns das Ozeanographische Museum vorgenommen. Christian ist begeisterter Taucher. Zu sehen gab es unter anderem auch sehr große Aquarien (wenn auch nicht so große wie in Barcelona) mit fast allem, was das Meer so an Lebendigem zu bieten hat. Meine persönlichen Highlights waren das Quallen-Aquarium und der „Steichelzoo“, wo ich Baby-Haie anfassen konnte. Die waren regelrecht verkuschelt die kleinen Dinger und gebärdeten sich unter meiner Hand fast wie kleine Hunde – nur dass man hinterher nicht nach Hund riecht und auch kein Fell an den Klamotten hat. Vielleicht sollte ich mir einen Hai zulegen. Leider hatten die Herrchen und Frauchen der Haie irgendwas ins Wasser gekippt, das meine Haut gar nicht mochte. Meine Hände schwollen rot an und brannten ordentlich. Das ging aber schnell vorüber und trübt die Erinnerung keineswegs.
Nach dem Abstieg haben wir uns noch einen Glühwein gegönnt. Dann ging es per Zug wieder zurück nach Nizza mit dem Ziel, dort irgendwo ein spektakuläres Fisch- und Meeresfrüchte-Dinner einzunehmen. Dummerweise haben wir uns verlaufen und sind auf der anderen Seite des Hügels gelandet, den wir gestern erklommen hatten. Für einen Weg, der eigentlich nur 20 Minuten dauert, haben wir über eine Stunde gebraucht. Dafür haben wir nun auch den östlichen Teil der Stadt gesehen und wissen, dass es dort aussieht wie in allen anderen Städten. Das Schöne an Nizza sind eindeutig die Altstadt, das Meer und der Colline du Chateau. Nach unserer Tageswanderung waren wir ziemlich k.o. und mächtig hungrig. Aber uns konnte geholfen werden. Wir entschieden uns für „Chez Freddy“ am Blumenmarkt (mit Free WiFi), das mit prächtigen Meeresfrüchte-Platten warb. Und genau so eine haben wir uns bestellt: Austern in verschiedenen Größen, allerlei unterschiedliche Muscheln, Krebse und Garnelenarten haben uns für alle Mühen des Tages entschädigt. Richtig geschlemmt haben wir und viel gelacht.
Nach den abschließenden Schokoladenfondants mit Eis und Sahne, dessen Kaloriengehalt etwa einem Silvestermenü für vier Personen entsprochen haben muss, waren wir alle drei so kaputt, dass wir uns eigentlich nur noch der Ordnung halber zu einem Absacker in die Bar vom Negresco geschleppt haben. Wenn Chris mich nicht eingeladen hätte, wäre das mit 21 Euro der teuerste Cocktail meines Lebens geworden. Die orange-pink-farbene mit zwei Alkoholika angereicherte Flüssigkeit war zudem unspektakulär, aber zumindest die Cocktailkirschen hatten Klasse.
Jetzt gehe ich erstmal wieder mit den Buben frühstücken. Der Kellner wird unseren Anblick heute sicher schon gewohnt sein und weniger drollig dreinblicken. Die Jungs reisen heute Mittag ab, ich heute Abend um sechs.
Mittwoch, 31. Dezember (Silvester) Den halben Tag allein in Nizza habe ich in der Altstadt verbracht und bin über den Blumenmarkt geschlendert.
Ein Designerkleid habe ich nicht erstanden. Das war ja ursprünglich mal geplant, weil ich gegenüber dem Le Negresco, in dem Christan und Jon ihre müden Häupter abgelegt haben, mit der Wahl meines Hotels (direkt nebenan und mit nur einem Stern weniger) in zwei Nächten ganze 500 Euro gespart habe. Als Souvenir gab es statt Kleid ein Stück Honigseife für 4 Euro 50. Die steht dann später nicht rum und riecht zudem auch gut. Zum Abschluss meiner Kurzreise genehmigte ich mir noch eine noch lauwarme Tarte au Citron, die leider ungefragt durch die Zugabe von Sprühsahne und einer ebenso pappsüßen wie überflüssigen Kirschsauce zu einem „Kuchenteller“ aufgewertet wurde und mich um 8,50 Euro ärmer machte. Zum Flughafen habe ich dann den Bus genommen – für schlappe 6 Euro, um einem nochmaligen Nepp durch niedliche Taxischauffeusen in Polstermäntelchen zu entgehen.
Der Flieger war halb leer; offenbar haben die meisten Menschen am Silvesterabend bessere Einfälle, als wild durch die Gegend zu reisen. Auch deshalb bin ich überpünktlich gelandet – am vorletzten Gate des Flughafens in Frankfurt, um nach einer 20-minütigen Wanderung festzustellen, dass mein Koffer, den ich nach der Gepäckfachknappheit auf dem Hinflug diesmal aufgebeben hatte, am vorletzten aller Kofferbänder ankommen würde … sehr konsequent, finde ich. Taxen gab es genug, so dass ich schon vor neun in der heimischen Stube ankam. Die ganze Bude roch nach Gänsebraten mit Rotkraut. Irgendein Lüftungsschacht scheint durchlässig. In Anbetracht meines leeren Kühlschranks war ich froh, dass ich dank des üppigen Tarte-au-Citron-Menus nicht hungrig war.
Nach den üblichen Urlaubsnachbereitungstätigkeiten (Kofferleerung, Wäschewaschung) wollte ich mich für zwei Stündchen hinlegen und mir in Ermangelung anderer ernstzunehmender Optionen um zwölf das Jahreswechsel-Feuerwerk von Ralfs Balkon aus ansehen. Die Wohnung hat einen guten Blick in Richtung Fluss. Habe mir also den Wecker für halb zwölf gestellt, selbigen aber offenbar im Halbschlaf abgestellt. Geweckt hat mich die mitternächtliche Knallerei. Für den Spaziergang und die 86-Stufen-Erklimmung von Ralfs Wohnung war es da natürlich zu spät. Ist aber nicht schlimm, denn so bin ich der Gefahr entgangen, doch noch sentimental zu werden. Dafür war ich im Halbschlaf nämlich viel zu müde. In diesem Sinne: Happy New Year!
Fazit: Nizza ist selbst im Winter einen Kurz-Trip wert, auch Monaco hat schöne Ecken, und drei Tage zu dritt sind erheblich unterhaltsamer als acht Tage allein im Luxusbunker auf Rhodos.