Donnerstag, 5. März. Hans Holzbecher im Stalburg-Theater. Hans Holzbecher … hm, sagt mir nichts. Das Internet verrät mir seine Mitwirkung in diversen TV-Serien, die ich allerdings alle nicht gesehen habe. Im Internet steht auch, dass er den Kölner Theaterpreis bekommen hat und Coach für „Visuelle Rhetorik“ ist. Studiert hat er Sport, Philosophie und Schauspiel – interessante Mischung, scheint ein vielseitiger Mann zu sein. Ok, den schaue ich mir an. Hätte mich die Tatsache, dass zwei Tage vor der Vorstellung noch viele Tickets zu haben waren, misstrauisch machen müssen? Vielleicht.
Bewaffnet mit meinem üblichen „Stalburg-Dinner“ (Grauburgunder, Brezel, Käsewürfel) besetze ich meinen Platz in der erste Reihe, achte darauf, dass das Glas nicht auf der Bühne steht – da sind die Künstler zu Recht empfindlich – und freue mich darauf, mal wieder richtig zu herzhaft lachen. Dazu bin ich hier. Pünktlich um 20 Uhr entert der Mime mit einem kühnen Sprung die Bretter, die mit zwei Stühlen ausgestattet sind. Auf dem einen steht als „Proviant“ für den Abend ein Geripptes mit Wasser, was ich erheblich sympathischer finde als die verschämten Plastikwasserflaschen in der hinteren Bühnenecke, zu denen andere Kabarettisten während ihrer Vorstellung greifen.
Ich erwarte einen rauschenden Eingangs-Gag, aber der kommt nicht. Nervös ist er, der Hans Holzbecher. So nervös, dass er sich ein paar Mal verspricht und sehr viel visuelle Rhetorik einsetzt – erinnert mich an Angela Merkel vor dem Trapez-Coaching. Und er „trippelt“: zwei Schritte nach rechts, drei Schritte nach links, zwei auf der Stelle, einen zurück. Während ich überlege, ob das eine ausgeklügelte Inszenierung ist oder einfach nur nicht gut, verpasse ich beinahe die erste lustige Stelle, die mit gefühlten fünf Lachern aus dem halbbesetzten Saal quittiert wird. Allmählich beruhigt er sich etwas, verhaspelt sich aber immer noch ab und zu. Auf mich wirkt er wie ein Schauspieler, der einen Kabarettisten spielt: An manchen Stellen klingt er wie Dieter Nuhr, nu(h)r schlechter (Achtung, Kalauer!). Mit Nuhr gemein hat er auch den philosophischen Touch. Holzbecher hat offenbar über vieles intensiv nachgedacht, aber manche Themen scheinen ihm so wichtig, dass er nicht wagt, wirklich böse Witze zu reißen. Als Mensch macht ihn das sympathisch, als Kabarettist fehlt ihm die dadurch die Schärfe.
„Risiko Leben“ heißt sein Programm. Ein Titel, der alles und nichts heißen kann und vermutlich deshalb so gewählt wurde. „Gott und die Welt“ hätte auch gepasst, zumal er später noch in die Rolle des Allmächtigen schlüpfen wird. Bis dahin streift er unterschiedliche Themen: ein bisschen Putin-Kritik, ein wenig USA-Kritik (seine Parodie einer US-Politikerin aus dem Mittleren Westen klingt wie Peter Maffay), eine kleine Portion „Männer und Frauen“. Und immer wenn ihm kein vernünftiger Übergang einfällt, springt er unvermittelt zurück zu Sprachthemen oder zur Figur eines zahlenverliebten Mannes, den seine Freundin Heidrun gegen einen Nordic-Walking-Coach ausgetauscht hat, jeweils eingeleitet durch eine kurzes „Sprache!“ oder „Ach ja, Heidrun!“. Ich dachte, die Zeit der Nordic-Walking-Jokes sei vorbei. Die Zahl der Stöckchen-Witze ist nun mal begrenzt. Auch er bietet hier nichts Neues.
Nach einer gelungenen Michael-Jackson-Parodie (inklusive überzeugendem Moon Walk) ist Pause. Singen kann er. Bis jetzt habe ich drei Mal gelacht und sieben Mal geschmunzelt und das Publikum kaum öfter (ok, das Schmunzeln konnte ich nicht sehen) – nicht genug für einen halben Kabarettabend. Soll ich gehen? Nein. Vielleicht wird er in der zweiten Hälfte lockerer. Ich überlege, ob ich ihm ein Glas Wein in die Garderobe bringen lassen sollte.
Nach der Pause wieder Rückgriffe auf „Heidrun“ und die Einführung einer neuen Figur: ein Berliner Taxifahrer, der Philosophie studiert hat, im Zwiegespräch mit einem Fahrgast. Das ist gut. Überhaupt überzeugt mich Holzbecher immer dann, wenn er eine Rolle spielt oder eine Geschichte erzählt. Auch im Publikum wird jetzt häufiger gelacht, was aber auch daran liegen kann, dass die meisten Zuschauer mittlerweile ein bis drei Gläschen Alkohol hatten, was ja bekanntlich zu erhöhter Lachbereitschaft führt.
Insgesamt ist er in der zweiten Hälfte aber tatsächlich entspannter. Er baut noch ein oder zwei weitere Lieder ein (wie gesagt: singen kann er), spricht in verschiedenen Dialekten (kann er auch) und tritt dann im weißen Anzug als Gott auf, der abschließend wie von unsichtbaren Engeln getragen 30 cm über der Bühne schwebt – netter Trick.
Nach einer weiteren Dreiviertelstunde ist es vorbei. Einen nicht enden wollenden Applaus gibt es nicht. Die Zugabe fällt auch aus. Offenbar hat er sein Pulver bereits verschossen, ein über weite Strecken recht feuchtes.
Nein, ein wirklich gelungener Kabarettabend war das nicht. Ich gehe unterbelustigt nach Hause. Auf dem Weg frage ich eine Gruppe Zuschauer nach ihrem Belustigungsgrad und bin überrascht zu hören, dass es ihnen sehr gut gefallen hat. „Warum haben Sie dann nicht öfter gelacht?“ – „Also ich habe gelacht“, meint einer. Die anderen schweigen. Auf Nachfrage erfahre ich, dass sie sonst nie ins Kabarett gehen und zu einem Seminar in Frankfurt sind. Visuelle Rhetorik vielleicht?
Im Internet ist nachzulesen, dass „Risiko Leben“ das erste eigene Soloprogramm von Hans Holzbecher ist. Vielleicht hat er bei der Zusammenstellung an Herrn Goethe gedacht:
„Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“ (Faust, Vorspiel auf dem Theater)
Aber wenn er heute Abend aufgepasst hat weiß er, was ankommt. Dann wird er sich in Zukunft auf einige wenige Figuren konzentrieren, vor allem den „Berliner Taxifahrer“ ausbauen, stärker auf seine Stimme und sein Schauspieltalent setzen und geschicktere Übergänge schaffen. Wenn es ihm dann noch gelingt, zu den Problemen dieser Welt so viel Abstand zu gewinnen, dass er sie respektloser und schärfer angehen kann, schaue ich mir gerne sein nächstes Programm an.