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80er, Blog, Quentel, Städel, Vernissage
Heiß war es – so heiß, dass mich der kurze Fußweg am Main entlang reichlich derangierte: Die Frisur war im Eimer (welche Frisur doch gleich?), das Kleidchen klebte hartnäckig irgendwo zwischen den Schulterblättern fest, und ich war einmal mehr froh, auch heute auf Farbe im Gesicht verzichtet zu haben, weil ich sonst sicher kaum noch von einem edlen Wilden auf dem Kriegspfad zu unterscheiden gewesen wäre. Wie so oft etwas früh dran, versuchte ich im Schatten zu retten, was zu retten war, als auch schon mein Begleiter auftauchte, der aus welchem Grund auch immer erheblich kühler und trockener wirkte als ich mich fühlte. Mir blieb die Hoffnung auf die Klimaanlage im Inneren des Museums und darauf, dass mein Charme solange vom feuchten Zustand meiner Person ablenken würde, bis die Technik Wirkung zeigte.
Schon eine Viertelstunde vor Beginn der unvermeidlichen Eröffnungsreden war kein Sitzplatz mehr zu bekommen. Ein Blick in die Runde bestätigte meine Vermutung, dass die Mehrzahl der geladenen Gäste (Freunde, Förderer und Sponsoren des Museums sowie wichtige Menschen aus Kultur und Stadtpolitik) den Sitzplatz nötiger hatte als wir. Schön, mal nicht zu den ältesten zu gehören. Also platzierten wir uns in einer der ersten Reihen hinter den Stühlen, von wo wir allerdings sehr bald in eine der letzten Reihen hinter den Stühlen verdrängt wurden. Ok, wir haben keinen nennenswerten Widerstand geleistet, wenn man mal von meinen unfreundlichen Blicken absieht. Was lernen wir? Höflichkeit ziert, bringt aber nicht weiter.
Dann kam der Herr Direktor – mit ein paar launigen Worten zum Wetter, ein paar kurzen Anmerkungen zum bevorstehenden Kunstgenuss und einer längeren Rede über Geld. Sein weicher österreichischer Akzent lenkt ja immer wohltuend von dem doch recht profanen Thema ab. Ihm folgte ein Vertreter des Hauptsponsors, dessen Duktus und Stimmfarbe mich (passend zum heutigen Thema) ein bisschen an den „Neue Deutsche Welle“-Sänger Markus erinnerten. Er verlieh seiner Freude Ausdruck, mal wieder geholfen zu haben und stellte weitere Unterstützung in Aussicht, unter anderem für den Ausbau des digitalen Angebots, was mich sehr gefreut hat. Durch die wirklich gut gemachten Digitorials im Netz bekommt man nicht nur im Vorfeld eines Ausstellungsbesuchs einen ersten Überblick. Ein netter Nebeneffekt: Das rasch angelesene Wissen bringt einem auch so manch erstaunt-anerkennenden Blick eventueller Begleiter ein 😉 So, dieses Geheimnis meiner „Kenntnis der modernen Kunst“ ist nun auch keines mehr.

(C) Thomas Weidenhaupt (https://www.flickr.com/photos/streetpreacher)
Noch vor dem Auftritt des letzten Redners wurden die Gäste unruhig. An der Temperatur kann das nicht gelegen haben. Die Klimaanlage hat alles richtig gemacht. Selbst mein erhitztes Ich fühlte sich wieder wohl in seiner Haut. Jedenfalls beschlossen einige, sich die Dauerausstellung anzusehen und auf die Ausführungen des Kurators zu verzichten. Weil er auch aufgrund unserer suboptimalen Position gar zu schwer verstehen war, siegte auch bei uns irgendwann der Bewegungsdrang über die Höflichkeit.
Der Applaus und der Menschenstrom gen Treppe nach oben signalisierten das Ende der Reden. Wir schlossen uns den übrigen Kunstfreunden an. Mir ist es mal wieder gelungen, meine Monsterhandtasche am Taschenmaßkontrolleur vorbeizuschmuggeln. Hatte wie so oft vergessen, den Prachtbeutel gegen ein kleines feines Täschchen zu tauschen … Diese Schmuggelei hat aber auch einen sportlichen Aspekt: Ich gegen die Museumswächter der Welt! Ich gewinne in etwa 50% der Fälle.
Ich war schon ein fast ein Vierteljahr nicht mehr im Städel gewesen und freute mich auf dem Weg zur Ausstellung, ein paar gute alte Bekannte wiederzusehen: die Delilah mit dem Samsons Kopf in der Hand, Munchs grüngesichtigen Eifersüchtling, Monets Frühstück im Familienkreis (ohne Papa aber dafür mit missgünstiger Hausangestellten im Hintergrund), die schiefen Häuser des Herrn Beckmann, Bacons schreiende blutende Frau von grünem Hintergrund (mit einem Titel, den ich mir wohl niemals merken werde – irgendetwas mit Krankenschwestern und dem Panzerkreuzer Potjemkin), etc. Sie alle waren noch da. Schön, dass sich manche Dinge nie ändern.
Nun aber endlich in die Ausstellung. Es war weniger voll, als der Andrang bei den Eröffnungsreden hatte vermuten lassen, und in den Gesichtern der Besucher waren sehr unterschiedliche Reaktionen zu lesen: Süffisanz, neugieriges Interesse, Ablehnung, diebisches Vergnügen, Verständnislosigkeit … Eine Bekannte sprach mich an, weil sie mit irgendjemandem über das reden wollte, was sie gesehen hatte. Sie mochte die Bilder nicht besonders, ist eher für Gegenständliches zu begeistern – fair enough. Moderne Kunst polarisiert. Das will sie auch.

(C) Marinka (https://www.flickr.com/photos/marinkabozzec/favorites/)
Ich mochte einige Bilder mehr, andere weniger, aber auch bei vielen, die ich mir nicht aufhängen würde, machten mir die Ideen dahinter Spaß. Einige habe ich nicht verstanden, bei einigen brauchte ich noch nicht mal den Titel zu lesen, um zu vermuten, was der Künstler mir sagen wollte. Es hilft ja immer sehr, die Kunst in den Zeitkontext zu setzen. Also: Was war los in den 80ern? Was waren die Themen? Kalter Krieg/Glasnost, Dallas, Chaostage, Falklandkrieg, AIDS, Gründung der Grünen, Brockdorf, Friedensbewegung, Tschernobyl, Challenger-Katastrophe, Lockerbie … und ganz zum Schluss der Mauerfall. Es gab Popper, Punker und Yuppies. Wir hörten David Bowie, Culture Club und Kraftwerk, aber auch Nina Hagen, Eric Clapton, und unsägliche deutsche Schlager, guckten Sketch-up, Jenseits von Afrika, MacGyver und Rainman – und Joseph Beuys pflanzte in Kassel 7.000 „Eichen“ aus Beton.
Das alles und noch viel mehr hat die Künstler der 80er-Ausstellung beeinflusst, in unterschiedlichem Maße. Da überrascht es nicht, dass es der Kunstkritik schwer gefallen ist, einen gemeinsamen Namen für diese Strömung finden. „Neue Wilde“ heißen sie, manchmal auch „Neue Heftige“. Das kann so ziemlich alles bedeuten. Vielleicht konnten sich die Künstler deshalb selbst nie so ganz mit diesen Bezeichnungen anfreunden. „Wild“ sind sie vielleicht in ihrer Direktheit, in der Wahl ihrer Themen (es gibt Sex und Blut und Nackte) und ihren zum Teil expressiven Strichen. „Wild“ auch, weil sie keine geschlossene Gruppe waren, sondern Einzelgänger, oder weil sie sich vorübergehend zu inhomogen Gemeinschaften zusammenschlossen und häufig den Ort wechselten. Weder neu noch wild finde ich hingegen, dass sie mit der figurativen Malerei etwas wiederaufgenommen haben, das in den Jahren zuvor, die sich vor allem durch Performances und Installationen auszeichneten, in Vergessenheit geraten war, ja geradezu geschmäht wurde. Diese Befreiung vom Intellekt, von der Verkopftheit der vorangegangenen 10 bis 20 Jahre resultiert in der Individualität, der Obsession, dem Ausdruck tiefer Ängste oder auch im Spaß am Leben und am Anderssein. Wenn nicht „wild“, so doch zumindest „heftig“ und wunderbar emotional.

(C) Michaela (https://www.flickr.com/photos/cephir)
Mit solchen und ähnlichen Gedanken, mal schmunzelnd, mal runzelnd, habe ich mir die Ausstellung angeschaut – froh, nicht allein zu sein und einige meiner manchmal vielleicht ein bisschen abstrusen Interpretationen und Vermutungen mit jemandem teilen zu können. Und ich werde nochmal hingehen, zu einer Führung. Bin schon sehr gespannt, was die Fachleute sagen und ob ich das eine oder andere Werk nach einer Erklärung mit anderen Augen sehe.
Titelfoto: Christian Schnettelker http://www.manoftaste.de