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Moving on

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Schlagwort-Archiv: Anette Quentel

Fünf Wochen Marseille – ein Experiment

31 Samstag Okt 2015

Posted by anette quentel in Marseille, Reisen

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Anette Quentel, Blog, Marseille

TEIL 1
Warum ich bin, wo ich bin

Die Sonne geht unter – quietschpink und rotfeuerlich. Unter mir grummelt und ploppt das Meer, in den nahen Felsen wohnt eine Zikade, neben mir momentan zwei Männer im „besten Alter“, die Opernarien hören.

Ich bin allein – weil ich das so wollte, allein in einem Land, dessen Sprache ich nur rudimentär beherrsche, an einem Ort, der mir das Gefühl vermittelt, auf dem Meer zu leben. Und heute, am fünften von 32 Tagen, bin ich mir sicher, dass es eine gute Entscheidung war, hierherzukommen.

Im Mai, als mir nach eineinhalb sehr turbulenten Jahren das Leben und mein Gefühlschaos in fieser Kumpanei endgültig über den Kopf zu wachsen drohten, habe ich kurzentschlossen diese Fischerhütte gebucht direkt am Meer. Overworked, underloved, underslept und underfed. Gefangen in (zugegebenermaßen größtenteils selbstauferlegten) Pflichten und immer unterwegs zu irgendeinem Termin oder Event wollte ich nur noch weg – von allem und allen. Ich erinnerte mich an das Buch „Das große Los“ der Journalistin Meike Winnemuth, die nach einem Millionengewinn bei Günter Jauch ein Jahr lang jeweils einen Monat lang in einer anderen Stadt auf dieser Welt gewohnt hatte. Diese Idee hatte mich nie ganz losgelassen. Einen Millionen-Gewinn habe ich zwar nicht im Rücken, aber weil wir in einer Welt der unendlichen Erreichbarkeit legen, kann ich überall arbeiten. Genug Geld für die Fahrt und ein paar Wochen lang doppelte Miete ist auch da.

Seit der Buchung im Mai hat sich vieles relativiert, geklärt, geändert, auch verbessert, aber ich lebe immer noch auf der Überholspur. Deshalb musste und wollte ich diese Reise machen. Der Gedanke, ein paar Wochen am Meer zu leben, ist einfach nur berückend. Außerdem will ich wissen, wie es sich anfühlt, wirklich allein zu sein, keine Kompromisse eingehen zu müssen und (abgesehen von den Abgabeterminen meiner Projekte) keine Termine zu haben … eine Mischung aus „Mal was anders machen als sonst“ und Selbstversuch: ein Experiment. Ich bin gespannt, was und wer mir wirklich fehlen wird und, um es mal im Psycho-Jargon zu sagen, was das so mit mir macht. Heute ist zwar alles besser als noch vor einem halben Jahr, aber meine alte Gelassenheit und die Fähigkeit, immer alles positiv und mit Humor zu betrachten, haben sich noch nicht vollständig wieder eingestellt. Vielleicht finde sie hier wieder.

  1. Reisetag

Am Vormittag ging‘s los. Mit Vorfreude, aber noch in Abschiedsgedanken machte ich mich auf den Weg. „Du denkst zu viel nach. Das ist nicht gut“, sagt mir ein kluger Mensch immer mal wieder. Dass er Recht hat, zeigt sich schon darin, dass ich in Frankfurt gleich zweimal die richtige Auffahrt verpasst habe und eine halbe Stunde auf den diversen Autobahnen herumgekurvt bin, bevor ich auf der A5 gen Süden war. Bis Lyon wollte ich kommen, dort übernachten und die letzte Etappe am Mittwoch fahren. Auf den Tankstellen in Frankreich habe ich gelernt, dass es Zapfsäulen gibt, die mit Kartenzahlung funktionieren, allerdings weder mit Visa noch mit meiner Sparkassen-Maestro-Karte … an anderen Säulen darf man einfach lostanken und an der Kasse zahlen. Das waren dann meine. Auf den Autobahnen selbst habe ich gelernt, dass Franzosen gerne mal blinken, auch wenn sie nicht die Spur wechseln wollen. Irgendwann habe ich ein Gefühl dafür entwickelt, wann ein Blinken ernst zu nehmen ist und wann nicht. Und wie französische Blitzgeräte aussehen, weiß ich jetzt auch … bin gespannt, ob die mich ausfindig machen. Die Straßen waren fast frei, vor allem die Mautstraßen (ein Luxus, der mich etwa 60 Euro kostete) … na ja, fast frei: Kurz vor Lyon erwarteten mich der Feierabendstau, ein Tunnelbaustellenstau, ein Unfallstau und in der Stadt selbst geriet ich in einen sintflutartigen Regen, der für zehn Minuten alles zum Erliegen brachte. Ich hatte kein Hotel gebucht – wusste ja nicht, ob ich es bis hierher schaffen würde – und fuhr ein bisschen orientierungslos herum. Den Gedanken, über irgendein Portal zu suchen und online zu buchen, musste ich aufgeben: kein Netz, was ich erstmal auf Vodafone schob. Einen Parkplatz in der City vor einem Mercure-Hotel nahm ich dann als Wink des Schicksals und blieb. Die Übernachtung kostete mich ein kleines Vermögen, aber das war dann auch schon egal. Das Hotel-WIFI funktionierte so halb gut, und nachdem ich die aufgelaufenen knapp 100 Mails gescreent und festgestellt hatte, dass keine eine sofortige Aktion erforderte (danke Ralf J), ging es mir sofort besser. Ich fand ein kleines Restaurant in der Nähe und genehmigte mir ein 3-Gänge-Menu mit politisch total inkorrekter Foie Gras, allerdings gefolgt von Bio(!)-Rind und einer sehr unfranzösischen, aber traumhaften Panna Cotta, begleitet von einem Pastis und einem Glas Landwein, das besser war, als der Inhalt so manchen 15-Euro-Fläschchens zuhause. Dass ich nach gut 7 Stunden Autobahn und diesem kulinarischem Abschluss einigermaßen erschöpft um 22 Uhr in die Luxuskissen sank, bedarf sicher keiner Erklärung.

  1. Reisetag

Am Morgen sah die Welt gut aus. Das Auto war noch da, die Rückspiegel noch dran und Knöllchen hatte ich auch keins. So gegen 9 Uhr war ich auf der Bahn. Die Landschaft wurde immer mediterraner und alle halbe Stunde stieg die Temperatur um etwa 1 Grad. Gegen Mittag war ich am Ziel – bei 21 Grad, Sonnenschein, heftigem Wind, aufgewühltem Meer und gut zwei Stunden zu früh. Um drei sollte ich den Schlüssel bekommen. Also saß ich erstmal eine halbe Stunde auf einer Aussichtsplattform direkt neben meiner zukünftige Bleibe herum, las die Geschichte des Chateau d’If und sog das wilde Meer und die Sonne in mich auf, um dann die Gegend zu erkunden, in der ich die nächsten knapp fünf Wochen verbringen sollte. Ich entdeckte einen Bäcker, einen Metzger, ein Blumengeschäft, ein paar Lokale sowie einen kleinen und einen sehr kleinen Supermarkt – alles da was man so braucht! Nach einem Snack war es fast drei; ich also zurück zum Treffpunkt.

Corinne kam, mein Kontakt für die Übergabe: „Hi, I am Corinne, are you … Anette?“ – „Yes“. – “Don’t you have any luggage?” – Of course, but still in the car.” Handshake. „Do you speak French?” – „Pas assez bien, je crois” – „Ok, we do it in English. I show you the house.” Sprach’s und ging auf eine verrostete Gittertür am Ende der Aussichtsplattform zu, die sicher schon die ganze Zeit da, mir aber gar nicht aufgefallen war, bewaffnet mit einem gut bestückten Schlüsselbund. Der rote Schlüssel war für diese Tür, die immer doppelt abgeschlossen sein musste (rot = rostige Tür, kann ich mir merken). Hinter der Tür führten (wie ich mittlerweile gezählt habe) gut 60 ebenso steile wie ungleichmäßige Treppenstufen in die Tiefe. Der runde Schlüssel war für die nächste Tür, die ebenfalls immer zwei Mal abgesperrte werden musste (runder Schlüssel – rundes Schloss, kann ich mir auch merken). Wir standen auf einem etwa 2 Meter breitem Weg: rechts drei Fischerreihenhütten, links, in etwa 5 Meter Tiefe, das Meer. Gleich die erste Haustür war meine. Der schwarze Schlüssel war für die elektrische Jalousie, für deren Betrieb man aber einen Trick anwenden muss (schwarzer Schlüssel plus Trick = graue Jalousie, na, ob ich mir das merken kann?). Der eckige Schlüssel gehörte zur eigentlichen Haustür, die man zwar einfach aufschließen kann, aber deren Verschluss mit einem anderen Trick verbunden ist (eckiger Schlüssel plus Trick ….). Offenbar schaute ich ein bisschen verwirrt … „No problem, you will learn that soon“, sagte sie und entschwand im dunklen Haus. Ich folgte ihr. Was sonst.

Sie führte mich in ein stockdunkles Räumchen. „This is the sleeping room.“ Der Holzladen des Fensters war kaputt und ließ sich nicht an der Hauswand befestigen, so dass sie mir empfahl, ihn immer geschlossen zu halten. Wie jetzt: Ich soll ich in einer Höhle schlafen? No way, dachte ich, sagte aber erst mal nix; den ollen Holzladen würde ich schon in den Griff bekommen. Dann meinte sie, ich solle das Fenster immer gekippt lassen, weil es im Haus ein Feuchtigkeitsproblem gäbe. Ach ja, interessant. Dann zeigte sie mir zwei Wandschränke. Der kleinere in der Schlafhöhle war zu 60% mit Decken und Kissen befüllt. „Here is space for your things“ 40% der Regalfläche sollten also mir gehören. Ok, das dürfte für Kleinkram, Hosen und T-Shirts reichen, dachte ich. Es gab ja noch den großen im Eingangsbereich, den sie aber irgendwie gar nicht erwähnte. Auf meine Frage meinte sie. „Oh, this one is full of things of the owner. Better don’t touch. The doors are broken anyway.” Nö, nö, nö, so ginge das nicht, sagte ich. Ein bisschen widerstrebend öffnete sie sehr vorsichtig den rechten Teil des Schranks, wies mir eine leere Kleiderstange direkt über dem Putzzeug zu und bläute mir nochmals ein, wie fragil das Teil sei und dass ich sehr vorsichtig sein müsste. Ich war’s erstmal zufrieden. Sie sprang die enge Treppe nach oben. Dort sollten das Bad und der Wohn-/Kochbereich sein. Waren sie auch. Auch hier alles dunkel. Sie tastete sich durch den Raum drückte den Jalousienknopf und da war er: der Blick, der mich für alle Seltsamkeiten entschädigen sollte, die ich bisher gesehen und von Corinne gehört hatte. Himmel, Wasser, Sonne, Chateau d’If und ein paar weitere Inseln und Felsen, Möwen, Wellen, Boote … wunderbar! Ich begutachtete den Balkon und stellte fest, dass er eine Flucht mit der Felsenküste bildete und ich gefühlt über dem Meer schwebte (siehe Titelbild). Und weil meine Hütte eine Eckehütte ist, war auch der Blick nach rechts frei. Ja, hier wollte ich bleiben und sein. Nachdem ich mich ausreichend begeistert hatte, zeigte sie mir die Kochecke (Deckenhöhe max. 1,80) und erklärte mir, dass die Spülmaschine nicht funktioniere, wohl aber der Kühlschrank und die beiden Elektroplatten, und dass es eine Mikrowellen-/Ofen-Kombination gäbe. Die Begutachtung des Badezimmers ergab, dass der Waschtisch nebst Regalen neu, aber der Rest so etwa zehn Jahre alt war − und ja, es gab in dem Haus ein Feuchtigkeitsproblem, wie ich unschwer an den Fugen der Dusche erkennen konnte. Außerdem hängt der Duschkopf schlaff in einer ausgeleierten Halterung herum. Um ein fünfwöchiges einhändiges Duschen zu vermeiden, würde ich da wohl was basteln müssen. Der im Internet angekündigte „Wäschetrockner“ ist so ein Flügelteil auf dem Balkon … aber all das konnte mir die Laune nicht verderben. Ich sah nur noch das Panorama und so Sachen wie das witzige Bullauge in der Badezimmerwand, durch das man in den Wohnraum und aufs Meer gucken kann, hörte Wind, Wellen und Möwen …

Ich erfuhr noch, wo die Gebrauchsanleitungen und die Notfallnummern lagen, erhielt mein persönliches Paket Toilettenpapier nebst einer Flasche Kokosduschbad und die Einladung, mich an den Vorräten zu bedienen, die noch vom Vormieter dastanden: Nudeln, Tee, Kaffee, Essig, Öl, etc. Wir tauschten E-Mail-Adressen aus, verabredeten drei Putz- und zwei Handwerkertermine und ich zahlte meine Restmiete plus Kaution. Dazu musste ich ans Auto. Als Corinne erfuhr, dass ich „so viel“ Geld im Auto an der Straße gelassen hatte, fiel sie fast aus allen Wolken. Aber nach drei Türen und dem Hinweis, dass alle mehrfach abgeschlossen werden müssen, hätte ich mir auch gleich denken können, dass die Gegend nicht die sicherste der Welt war. Na, jedenfalls war noch alles da, und nach einem kurzen Schwätzchen, bei dem ich unter anderem erfuhr, dass der Müll einfach unsortiert in irgendeinen der Container am Straßenrand geworfen wird, und nachdem ich noch schnell verifiziert hatte, dass das Wasser lief, die Lampen leuchteten und WIFI funktioniert, war Corinne weg und ich allein in „meinem“ Häuschen. Ich fand einen Aschenbecher und trank einen ersten Kaffee auf dem Balkon. Im Haus soll nicht geraucht werden. Finde ich vernünftig.

Jetzt stand Auto ausräumen auf dem Programm. Wie ich den 22kg-Koffer die Treppen runtergekriegt habe, weiß ich nicht mehr und an den Auszug in knapp fünf Wochen wollte ich gar nicht erst denken. Aber nach 20 Minuten war alles im Haus. Ich inspizierte noch mal den Stauraum, stellte fest, dass der Platz reichte, wenn ich ein bisschen umräumte und goss die bemitleidenswerte Yukka-Palme im Wohnzimmer – erstmal ganz vorsichtig: Verdurstende sollen ja in kleinen Schlucken trinken … Der E-Mail-Check ergab, dass ich heute nix mehr tun musste, aber morgen den Tisch voll haben würde. Fein. Nachdem ich ein paar meiner versprochenen „bin angekommen, alles bestens“ in die Welt geschickt hatte, war es 18 Uhr geworden. Zeit, den vorher entdeckten Einzelhandel zu testen. Ergebnis: Der Verkäufer in der Metzgerei ist Italiener und meint, mein Französisch sei besser als seins, die Kassiererin im Supermarkt ist vor allem mal müde, aber nett und die junge Frau beim Bäcker ist einfach eine junge Frau beim Bäcker. Alle Läden sind gut sortiert. Die Pasteten vom Metzger, der auch eine ordentliche Käseauswahl bietet, und diese Petits Fours aus der Bäckerei werden mein Figurruin sein, wenn ich mich nicht diszipliniere. Ach, ich habe ja noch gar nicht erwähnt, dass es hier keine Waage gibt – und das mir, die seit April 2010 Jahren eine tagesgenaue Gewichtsstatistik führt … Bepackt mit französischen Lebensmitteln kehrte ich in mein Zuhause auf Zeit zurück – sehr zufrieden mit der Welt und mit mir. Die Reparatur des Fensterladens vor der Schlafhöhle verschob ich auf den nächsten Tag. Den Abend verbrachte ich mit einem kalten Dinner (frisches Baguette und diverse Leckereien aus den Fachgeschäften) und damit, durch gefühlte 30 französische Programme zu zappen, um mich aber schnell in meine Dunkelkammer zurückzuziehen und begleitet vom Meeresrauschen einzuschlafen.

Die ersten beiden Tage in der Eremitage

Am Donnerstag und Freitag habe ich vor allem mal gearbeitet – viel gearbeitet. Schließlich war ich zwei Tage im Verzug. Aber alles ging leicht von der Hand, unterbrochen von ein bisschen Facebooken und Buch lesen: The Circle von Eggert. Meine Güte, wann habe ich das letzte Buch gelesen. In den letzten Monaten war ich froh, wenn ich den Spiegel geschafft habe. An ein Buch war nicht zu denken. Aber keine Abendtermine zu haben, bedeutet auch eine andere Zeiteinteilung und Muße, zwischendurch mal eine halbe Stunde Pause zu machen – ein völlig neues Gefühl. Gefällt mir gut.

Schließlich machte ich mich an die diversen Reparaturen: Den Duschkopf habe ich mit einem Streifen Pappe in der Halterung befestigt – geht. Der hölzerne Fensterladen hält jetzt an der Hauswand, nachdem ich ihn mit einer herumliegenden Kombizange festgeklemmt habe: natürliches Licht in der Schlafhöhle! Am Mittwochabend hielt ich den Türknopf vom Badezimmer in der Hand. Das habe nicht wieder hingekriegt, so dass ich ihn nur wieder aufgesteckt habe und jetzt eher nicht betätige. Sollte ich mich aus Versehen im Bad einsperren, hätte ich nämlich ein Problem … Das kombinierte Mikrowellen-/Ofengerät bleibt vorerst ein Rätsel. Als Ofen funktioniert es, als Mikrowelle nicht. Habe einen Hilferuf an den Siemens-Kundendienst mit der Bitte um Zusendung einer Gebrauchsanweisung gemailt … bin sehr gespannt.

Wasser 1

Ich war im Meer schwimmen! Der Weg zum „privaten Meerzugang“ führt durch zwei Tore und über vielleicht 20 Meter unebenes Gelände, das ein bisschen an eine Baustelle erinnert, aber wohl immer so aussieht. Das Wasser war klar und kühl, aber noch warm genug und Neptun ein freundlicher Gastgeber. Abends habe ich für micht alleine gekocht, seit ewigen Zeiten mal wieder. Gefällt mir auch. Wird wieder eingeführt.

Fortsetzung folgt

Neulich im Zootheater

26 Montag Jan 2015

Posted by anette quentel in Beobachtungen, People & Places, Zootheater

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Anette Quentel, Blog, Theater

Ja, ich weiß, „Zootheater“ ist ein wenig despektierlich, denn eigentlich heißt die Bühne ja mittlerweile „Fritz Rémond Theater im Zoo“. Aber hier in Frankfurt weiß jeder sehr genau, was mit „Zootheater“ gemeint ist, also bleibe ich dabei.

Am Freitagabend habe ich mir mit einem Freund „Ziemlich beste Freunde“ angesehen. Vorletzte Vorstellung nach durchweg guten Kritiken. Dementsprechend hoch waren unser Erwartungen, zumal uns der Film begeistert hatte und wir sehr gespannt waren, wie sie den Stoff auf der Bühne umsetzen würden.

Der Ticketkauf war fast schon ein Theaterstück für sich. Weil ich ahnte, dass es voll werden würde, habe ich mit einer Woche Vorlauf geplant. Ich kaufe Tickets immer online, ein Service, den auch das Zootheater bietet. Dumm nur, dass man sich hier die Plätze nicht aussuchen kann. Man bucht eine Kategorie und muss sich dann darauf verlassen, die besten verfügbaren Plätze dieser Kategorie zugeteilt zu bekommen. Bei irgendetwas nicht die Wahl zu haben, ist für mich ja immer suboptimal, und woran genau die Güte der Plätze gemessen wird, weiß man leider auch nicht. In diesem Fall kam erschwerend hinzu, dass ich zunächst nur ein Ticket gekauft hatte und jetzt ein zweites brauchte. Zwei Menschen, die miteinander ins Theater gehen, möchten in der Regel nebeneinander sitzen. Das geht bei diesem Online-System natürlich nicht. Also rief ich direkt im Theater an. Da wird doch sicher was zu machen sein, dachte ich…

Die Dame offenbar sehr im Stress. Jedenfalls fehlt ihr die Zeit, mich aussprechen zu lassen. Ich begann mit dem Hinweis, dass ich ein Ticket online gekauft hatte und gerne ein zweites hätte … wurde aber sofort unterbrochen. „Also mit dem Indenet, da hab‘ isch ja ma gar nix am Hut, und außerdem is‘ heut‘ sowieso alles ausgebucht“. Das war nicht meine Frage. Ich wollte ein Ticket für die folgende Woche und zwar für einen der Plätze neben mir. Zu diesem Zeitpunkt war ich leichtfertigerweise noch davon ausgegangen, irgendwo mittendrin zu sitzen. Nach zwei weiteren Anläufen war meine Botschaft angekommen. „Ei, dann muss isch halt ma‘ gugge – eigendlisch hab‘ isch ja grad‘ gar kei‘ Zeit für so ebbes – also wo sitze‘ Se jetzt?“

Wie sich herausstellte, war für mich ein Platz in der letzten Reihe der von mir gebuchten 1. Kategorie ganz außen vorgesehen. Hmm, das war also gestern der „beste verfügbare Platz“ gewesen. Kann sein, kann nicht sein. Wie sich außerdem herausstellte, gab es mittlerweile in meiner Kategorie gar keine Plätze mehr, wohl aber noch einen einzelnen Sitz drei Reihen dahinter. „Aber mittisch is des au‘ net.“ Gut, wir wollten das Stück sehen, von wo aus auch immer: Also dann eben jener einzelne Sitz. Angesichts der offenkundigen Hektik im Kassenbüro habe ich dann noch nicht einmal gefragt, welchen Platz ich denn jetzt genau gebucht hatte. Und bevor sie mir das Ticket am Ende wieder wegnahm, habe ich der Dame dann auch noch versprochen, es spätestens eine Stunde vor Vorstellungsbeginn abzuholen. Als ich ihr noch einen schönen Tag wünschen wollte, hatte sie schon aufgelegt.

Ich war am Vorstellungabend also schon um sieben Uhr dort. Das Theater war noch ganz leer. Wie haben es wohl die anderen Ticketbewerber hingekriegt, nicht schon so früh da sein zu müssen? Persönliche Vorsprache vor Ort? Blumenbouquet? Pralinenschachteln? Diamanten? An der Kasse neben mir stand ein blonder Mann, den ich schon mal irgendwo gesehen hatte. Nach einem zweiten Blick die Erkenntnis: Das war Sigmar Solbach, die Hauptrolle. Ein Ticket musste er nicht kaufen, aber sich offensichtlich in eine Liste eintragen. Ob die Schauspieler hier wohl nach Anwesenheit bezahlt werden? Aber dann wäre er doch sicher nicht erst eine Stunde vor Arbeitsantritt aufgetaucht. Vielleicht war das auch gar keine Anwesenheitsliste, sondern die Pizzabestellung für die Pause, oder eine Unterschriftensammlung der Schauspielergewerkschaft … na, egal.

Auf meinem Spaziergang durch das Zooviertel – weil wir erst um Viertel vor acht verabredet waren, hatte ich ja massig Zeit – habe ich gleich mal gecheckt, ob der Koch des für nach der Vorstellung ins Auge gefassten Restaurants Leon d’Oro auch zu später Stunde noch bereit sein würde, seines Amtes zu walten (man kann ja nie wissen). Er war bereit!

Zurück im Theater war das Haus bereits knallvoll und ich wurde schon erwartet. Ein bisschen später dran zu sein als die meisten, hat aber den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass es keine Schlange an der Garderobe gibt. Der Großteil der Besucher tummelte sich bereits mit Sektchen in der Hand im Vorraum des Zuschauerraums. Eine bunte Gesellschaft: viele Paare, einige Gruppen und – anders als im Schauspiel, wo ich mich öfter auch mal alleine einfinde, ohne aufzufallen – kaum Einzelgucker. Zootheaterbesuch scheint ein Gemeinschaftsevent zu sein. Der Altersschnitt ist höher als im Schauspiel, und einige hatten sich richtig fein gemacht. Sogar das eine oder andere Cocktailkleidchen war auszumachen. Ein paar Damen kamen frisch vom Frisör und/oder hatten der Kosmetikindustrie offensichtlich einen ordentlichen Umsatz beschert. Aber es waren auch Jeans mit Löchern, H&M-Designteile und Plastikhandtäschchen mit Louis-Vuitton-Schriftzug auszumachen. Zootheater ist Kultur für alle.

Weil wir mächtig gespannt auf den zweiten Sitzplatz waren und die Vorstellung ohnehin schon in zehn Minuten beginnen würde, gingen wir gleich rein. Ach, eigentlich hätten wir es ja ahnen können. Der telefonisch georderte Platz war in der 8. Reihe ganz außen. Trotzdem schmunzelnd und in Erwartung „wahrer Bühnenkunst“ (so steht es auf der Webseite des Theaters) machten wir es uns auf unseren Einzelsitzen bequem. Neben mir saß ein kräftiger Herr, neben ihm seine ebenso kräftige Begleiterin. Ich platzierte mich mit einem freundlichen: „Guten Abend, ich bin heute Abend ihre Nachbarin“. Sofort mischte sie sich ins gar nicht intendierte Gespräch: „Na, vielleicht sollte ich das gleich mal ändern“. Sollte wohl witzig sein. Als ich leichthin antwortete: „Keine Sorge, ich bin ganz harmlos“, konterte sie mit: „Das sagen sie am Anfang alle.“ Hat wohl schlechte Erfahrungen gemacht, die Lady oder auch einfach nur einen etwas schrägen Humor. Ein Bonbon hat sie mir später trotzdem angeboten. Und nach einem zweiten Blick auf meinen Nachbarn halte ich eventuelle Sorgen ihrerseits auch für recht überflüssig – mal so unter uns gesagt.

Nachdem das Claus-Helmer-Band auf bewährt launige Art mittels eines kleines Hörspiels, bei dem es um die Schande eines Telefonklingelns während der Vorstellung geht, um das Ausschalten der Mobiltelefone gebeten hatte, ging es endlich los. Vorhang auf.

Das Bühnenbild: ein Salon mit stilvoller Tapete, aber quasi ohne Möbel. Alles andere hätte den Herrn Solbach als Philippe in seinem Monster von einem mundgesteuerten Rollstuhl auch arg in die Bredouille gebracht. Um das Ding zu manövrieren, braucht man Platz, und die Dimensionen stecken ja auch schon im Namen des Herstellers: Paravan – die Ähnlichkeit mit dem Wort Caravan ist sicher kein Zufall. Die ersten politisch unkorrekten Scherze und Kalauer über die Tatsache, dass Philippe nur seinen Kopf bewegen kann, waren ja noch ganz unterhaltsam, eben weil politisch inkorrekt, aber das hatte sich schnell überlebt und ging mir bald nur noch auf die Nerven. Die Rolle ist eine echte Herausforderung, weil der Schauspieler, um sich auszudrücken, nur Sprache, Kopf und Mimik hat. Herr Solbach machte davon aber so ausgiebig Gebrauch, dass ich spätestens nach einer halben Stunde gar keine Lust mehr hatte, ihm beim Grimassenschneiden und Extrembetonen zuzugucken und zu hören. Was für ein Unterschied zu der großartigen Darstellung des Philippe im Film. Daran, dass im Boulevard-Theater alles ein bisschen „größer“ und offensichtlicher gespielt wird, bin ich ja mittlerweile gewöhnt, aber dass das auch geht, wenn man auf Mimik und Sprache beschränkt ist, war eine echte (böse) Überraschung.

Der „ziemlich beste Freund“, gespielt von Peter Marton, war erheblich überzeugender, aber auch ihm war seine Rolle als Underdog nicht gerade auf seinen gestählten Leib geschrieben. Woher ich das mit dem „gestählt“ weiß? Nein, ich nutze hier nicht etwa irgendwelche Insiderinformationen. Als er irgendwann auf der Bühne sein T-Shirt lupfte, kam ein beachtlicher Six- bzw. Eight-Pack zum Vorschein. Weil diese Demonstration dramaturgisch nicht nötig gewesen wäre, frage ich mich zugegebenermaßen boshaft und mit einer gehörigen Portion „Neid der Besitzlosen“, ob er sich wohl hat vertraglich zusichern lassen, das Ergebnis seines sicher harten Trainings präsentieren zu dürfen, oder ob das eine Idee der Regisseurin war. Nein, ganz im Ernst, er hat die Rolle gut gespielt. Auch die übrigen Darsteller haben ihre Sache gut gemacht, darunter Kerstin Gähte als Magalie, was aber angesichts der Dominanz der beiden sehr großen Hauptrollen nicht wirklich ins Gewicht fällt. Die „Freunde“ bestimmen das Stück, und wenn einer der beiden nicht überzeugen kann, können die anderen das nicht herausreißen.

Trotzdem ging die Zeit bis zur Pause recht schnell vorbei und ja, ich habe auch ein paar Mal gelacht, vor allem in der ersten Viertelstunde. Im 2. Teil tauschten wir die Plätze. Ich landete wieder neben einem Paar, dessen weiblicher Teil mich fragte, wo denn meine „bessere Hälfte“ abgeblieben sei? Fragt man das so? Noch bevor ich darüber nachdenken konnte, was und wie ausführlich ich ihr antworten soll, ging es weiter, aber andere Regungen als ein paar müde Schmunzler konnte mir die Inszenierung im 2. Teil nicht entlocken.

Insgesamt war ich einfach zu enttäuscht darüber, wie sehr die Bühnenfassung und ihre Umsetzung gegenüber dem Film abfielen. Nebenfiguren tauchten unnötigerweise kurz und unmotiviert auf oder wurden nur am Rande erwähnt. Beispielsweise war nach einer Stunde unvermittelt die Rede von Philippes Tochter, von deren Existenz man bis dahin gar nichts wusste. Über die sieben Fehlgeburten seiner verstorbenen Frau war vorher wohl gesprochen worden, von einer lebenden Tochter nicht. Die größte Schwäche der Inszenierung war aber, dass man sich nicht getraut hat, ernste und traurige Momente zuzulassen, die diesen Stoff ausmachen. Alles wirkte aufgesetzt komisch, pseudo-leicht, war bewusst flach gehalten und auf Biegen und Brechen auf lustig getrimmt. Vom feinen Witz der Vorlage keine Spur. Das ist sehr schade und wäre anders möglich gewesen. Und ganz nebenbei hätte irgendjemand Herrn Solbach mal sagen sollen, dass seine kleine Showeinlage beim Applaus (ein pantomimisches „Huch, ich kann ja Arme und Beine bewegen … und sogar aufstehen … na so was“) einfach nur albern war.

Vielleicht hat es die Theaterleitung nicht gewagt, ihrem sicher eher an Komödien gewöhnten Publikum eine andere Art von Humor anzubieten. Aber wenn man dieses Risiko nicht eingehen will, ist es besser, sich auf einschlägige Stücke zu beschränken, als einen tragikomischen Stoff seiner Tragik zu berauben.

Das Zootheater will „die Sinne beleben, zum Nachdenken und Amüsieren verführen“. So steht es auf der Webseite. Das mit dem Amüsieren gelingt hier oft und das mit dem Nachdenken zumindest manchmal. Bei „Ziemlich beste Freunde“ hat beides nicht funktioniert.

Das späte Essen im Leo d’Oro war übrigens sehr lecker.

Neulich im Fitnessstudio

21 Mittwoch Jan 2015

Posted by anette quentel in Fitnessstudio, People & Places

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Anette Quentel, Blog, Fitnessstudio

Nach längerer Zeit ausgeprägter Faulheit und anderer Prioritäten verbringe ich seit Weihnachten wieder öfter mal ein Stündchen oder zwei im Fitnessstudio. So auch letzte Woche. Mein Superstudio liegt über den Dächern der City, und vom X-Trainer aus hat man einen Blick über selbige gen Süden. Mit einem freundlichen Hallo gehe ich den Umkleideraum, alles in glänzendem Weiß und Dunkelbraun – sehr chic. Mein Gruß bleibt unbeantwortet, aber daran bin ich hier gewöhnt. Scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, an das ich mich aber niemals halten werde.

Neben den üblichen Kursen und Gerätschaften bietet das Studio unter anderem ein Schwimmbad (ebenfalls mit Blick über die City), kleine Holzkammern zum Passiv-Schwitzen und sargähnliche High-Tech-Trommeln, um sich bei Bedarf die Haut mit falscher Sonne zu verderben. Man kann Massagen buchen und es gibt einen Bartresen, wo Getränke, Eiweiß-Shakes und Schokoriegel verkauft werden, die ebenso wie die anderen angebotenen Proteinprodukte dem Freizeitsportler absolut nichts bringen, aber sehr lecker schmecken. Für meine mittlerweile knapp 95 Euro Monatsbeitrag bietet das Studio also alles, was das fitnesshungrige Herz begehrt – wie konnte es eigentlich passieren, dass ich die automatische Beitragserhöhungsklausel im Kleingedruckten überlesen habe? Aber ich schweife ab. Jetzt erst mal los auf’s Gerät; schließlich bin ich nicht zum Spaß hier …

Ich habe Glück. Es sind ein paar X-Trainer frei. Ich wähle mir einen mit Blick auf möglichst viele TV-Bildschirme, die hier zu siebt oder acht herumhängen, damit man sich beim Schwitzen nicht langweilt oder im besten Fall sogar vergisst, dass das was man gerade tut ziemlich anstrengend ist. Heute funktioniert das leider nicht. In den kleinen schwarzen Rechtecken flimmern nur Sportreportagen, Musikvideos und ein paar unsägliche Privatsender-Serien. Ich schau mich mal um, was ich eigentlich nicht sollte. Noch so ein ungeschriebenes Gesetz. Neben den Normalos, die aber wenig unterhaltsam sind, tummeln sich hier ein paar sehr bemerkenswerte Menschenexemplare.

Schräg vor mir zum Beispiel sitzen auf winzigen Fahrrädern zwei Vertreter der ziemlich dicken Mädchen und Jungs, die vor allem am Jahresanfang für maximal drei oder vier Wochen auftauchen und sich dann wieder in Luft auflösen, weil sie merken, dass Kuchen und Sahnesoße einfach mehr Spaß machen als Laufband und Foltergerätschaften. Vielleicht tue ich ihnen aber auch Unrecht. Vielleicht suchen sie sich einfach nur ein anderes Studio, weil sie hier besonders gefährlich leben. Die Studioleitung hat nämlich mittlerweile so viele Cardio-Geräte aufgestellt, dass ich meinem Schicksal jedes Mal danke, wenn ich den Weg zum Desinfektionsmittelspender und zurück zwischen all den ausgestellten Ellbogen und um sich schlagenden X-Trainer-Griffen lebend überstanden habe – und ich gelte gemeinhin als schlank. Die Lebensgefahr steigt überproportional zur Kleidergröße.

Lächeln muss ich über das putzige 1,60-Meter-Männlein, das tapfer mit wilder Hantel-Arbeit (max. 2 kg, wenn ich das richtig sehe) sein Napoleon-Syndrom bekämpft. Er guckt alle zwei Minuten an sich runter, ob man schon was sieht und blickt sich dann verlegen um, ob ihn jemand beim prüfenden Blick ertappt hat. Nein mein Kleiner, man sieht noch nix, und ja, ich habe Dich ertappt!

Die jungen schlanken Mädels in ihren Marken-Stofffetzen sind dagegen wirklich nett anzusehen. Da bleiben manchmal keine Fragen offen, sag ich Euch. Sie wirken so, als müssten sie eigentlich gar nicht hier sein, aber vielleicht täuscht das. Wahrscheinlich sehen sie nur so gut aus, weil sie hier sind. Mein Blick bleibt allerdings irritiert an einem etwas zu blonden Exemplar in einem Nichts von rosa Trägerhemdchen hängen, das sich ziemlich gefährdet über ihre beiden 300-Gramm-Silkonkissen spannt. Sie prüft alle zehn Minuten mit einem lila Handspiegelchen (ich sehe tatsächlich Swarovski-Steinchen blitzen), ob das Make-up noch in Ordnung ist und checkt zwischendurch mehrfach, ob sie auch gesehen wird – wird sie und nicht nur von mir.

Zwei Reihen hinter ihr spazieren nämlich zwei ältere, um Hüfte und Taille recht „kuschelige“ Herren auf ihren Laufbändern, die sie auf 4km/h gestellt haben. Das entspricht der Geschwindigkeit eines Stadtbummels. Der eine liest nebenbei die FAZ (offenbar mag er die TV-Programme auch nicht). Der andere, ebenso hals- wie haarlos, schafft es ob seiner unverhohlenen Begeisterung für die Handspiegelchen-Jongleuse kaum noch, mit dem Band Schritt zu halten. Er trägt ein dunkelblaues 3-Streifen-Outfit, und ich wette, darunter verbirgt sich irgendetwas aus weißem Feinripp. Jetzt hat er sich aber offenbar sattgesehen und wendet sich der Ecke mit dem „schweren Gerät“ zu. Auch ich gucke mal, was es dort zu Gucken gibt.

Ja, schon viel besser: Hier stehen nämlich die ganz durchtrainierten Zeitgenossen und -genossinnen, die jede Bewegung ihrer gestählten Körper im Spiegel kontrollieren und die Sache wirklich ernst zu nehmen scheinen – sehen schon toll aus diese austrainierten Jungs und Mädels, die scheinbar mühelos irgendetwas durch die Luft schwingen, das ich wahrscheinlich nicht mal 5 cm anheben könnte, ohne zur Lachnummer zu werden. Für mein bei diesem Anblick schwächelndes Selbstbewusstsein wäre es jetzt gut zu wissen, dass diese Prachtgestalten total hohl im Kopf sind, aber ich fürchte, die meisten sind es nicht. Ich stelle meinen X-Trainer rauf auf Stufe 15, erhöhe meine Geschwindigkeit und besinne mich auf den eigentlichen Zweck meines Besuchs. Auf dem zweiten Bildschirm von links läuft mittlerweile eine Reportage über Mittelamerika. Die schaue ich mir jetzt mal an.

Nach einer guten Stunde aktiven Schwitzens und Guckens, in der ich laut „Boardcomputer“ 540 kcal verbrannt habe, vollbringe ich auch diesmal das Wunder, unversehrt dem Cardio-Geräte-Dschungel zu entkommen. Gen Dusche strebend passiere ich wieder den Tresen. Die Barhockergesichter kenne ich mittlerweile schon. Das eine oder andere davon habe ich in den sechs Jahren meiner Mitgliedschaft noch nie auf einem der Geräte gesehen … die frönen offensichtlich einem anderen Sport.

Zurück in der Kabine treffe ich auf ein Dutzend halb oder ganz nackter Frauen aller Formen und Größenklassen, die sich in Kleingruppen oder zu zweit intensiv über ihr Privatleben austauschen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ihnen jeder zuhören kann. Was man da so alles erfährt …. aber das ist ein Thema für sich, über das ich demnächst mal etwas schreiben werde. Ich steige also schweigend unter die Regenwald-Dusche, packe meine Sachen zusammen (sehr langsam, weil die Musik aus dem Lautsprecher gerade so schön ist) und mache mich mit einem fröhlichen Tschüss auf den Weg zurück ins richtige Leben und an meinen PC. Antwort kriege ich keine. War ja klar, aber ich gebe nicht auf, niemals 😉

Neulich auf der Konstabler

13 Dienstag Jan 2015

Posted by anette quentel in Beobachtungen, Konstabler Wache, People & Places

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Anette Quentel, Blog, Konstabler

Samstag, 10. Januar 2014. Es ist noch Winter, aber das Wetter fühlt sich an wie Frühling: 12°C, ein warmer Wind, Sonne-Wolken-Mix. Was also spricht dagegen, heute der eigentlich den Monaten März bis Oktober vorbehaltenen lieben Gewohnheit des samstäglichen Weinchens nach dem Einkauf auf dem Konstabler Markt nachzugehen? Nichts! Also stehe ich nach dem Kauf tierpolitisch völlig korrekter Beine von ehemals glücklichen, aber heute trotzdem toten Maishähnchen in zweiter Reihe am großen Weinstand – dem mit den guten Rieslingen. Offensichtlich und wenig überraschend bin ich nicht die einzige, der es warm genug ist, um im Freien Wein zu trinken.
Mein Lieblingsriesling (Kalkstein) ist aus, aber es gibt eine Alternative: Kalkmergel – ok, den nehme ich. Mit meinen Hähnchenbeinen in der einen Hand, dem großzügig eingeschenkten Glas in der anderen, einem etwas überdimensionierten Blumenstrauß unter dem Arm und meiner ebenso überdi-mensionierten Handtasche über der Schulter (man weiß ja nie, was man auf der Reise durch die City so alles braucht) kämpfe ich mir einen Pfad durch jene, die schon früher auf die Idee gekommen sind, hier Halt zu machen.
Gefühlte 27 „‘tschuldigungs“ später habe ich ein freies Plätzchen an einem der Stehtische gefunden und richte mich erst Mal ein: Die Geflügelbeine versenke ich in der Handtasche, diese unter dem Tisch, der Blumenstrauß wird obendrauf platziert, wo er auch gleich die Aufmerksamkeit eines jungen Mannes auf sich zieht, der die Unversehrtheit seines Prosecco-Glases gefährdet sieht. Als er merkt, dass ich beim ersten Wein bin, also meine Feinmotorik noch einwandfrei funktioniert, ist er beruhigt und wendet sich wieder seinem Freund zu, um diesen erstmal intensiv zu küssen. Ich wende mich diskret ab und meinen Nachbarn zu, einem jungen Paar, das über zwei Apfelweinen über die Pegida redet.
Sie beunruhige das nicht besonders, meint sie lieb lächelnd, das sei doch eine Randgruppe, die bald wieder verschwände. Er ist eindeutig anderer Meinung, beschließt aber, das jetzt nicht auszudisku-tieren. Wahrscheinlich fürchtet er um den Wochenendfrieden. Ich werfe ihm einen mütterlich-verständnisvollen Blick zu, auf den er mit einem fast unmerklichen Schulterzucken reagiert, und beäuge die anderen Leute am Tisch – ich habe einen der beiden großen erwischt, an dem mit etwas gutem Willen gut zwölf Personen ein Stehplatz finden. Als erstes bleibe ich an einer Dreiergruppe hängen: ein Paar, etwa Mitte dreißig, begleitet von einem Mann, etwa vierzig, der, während er sich mit seinen Freunden unterhält, durch die Gegend guckt. Wartet er auf jemanden oder ist er auf der Suche nach Blickkontakt? Aus reiner Neugier teste ich das mal und lächle ihn an. Er lächelt zurück und berichtet kurz später, sich immer wieder vergewissernd, dass ich auch wirklich zuhöre von seiner Morgentoilette. Er habe sich heute Morgen die Haare gekappt und ihn die Abschnitte würden ihn jetzt noch überall kitzeln. Will ich das wissen? Nicht wirklich. Ich versuche, meine Mimik unter Kontrolle zu halten. Der Mann hat eine ausgeprägte Stirnglatze, der klägliche Rest auf seinem Kopf ist auf 2mm herunterrasiert (offenbar das Ergebnis des morgendlichen Verschönerungsversuchs). Die Bemerkung, dass andere Menschen mit dünnen Haaren viel Geld für „Schütthaar“ ausgäben, verkneife ich mir. Ich glaube, ich will mich heute nicht unterhalten, nur gucken und lauschen.
Unterdessen dringt das laute Organ einer stark geschminkten Frau mit Prada-Brille, falschem Nerz und sehr großen Ringen an den Händen (irgendetwas zwischen Mitte Fünfzig und Mitte Sechzig) zu mir durch. Sie steht mir gegenüber, offenbar mit ihrem Mann/Partner, einem befreundete Paar und ihrer Mutter (Familienähnlichkeit). Und sie ist so laut, weil Mom schwer hört. Ihr Partner wirkt ein bisschen gequält, die Freunde betont freundlich. Entweder war Mom heute nicht eingeplant, oder die bunte Dame nervt. Sie plappert von französischem Champagner, der kaum besser sei als der Prosecco hier (na ja …) sowie davon, dass es ja in 14 Tagen endlich in den Urlaub geht und setzt dazu an, von Sylvester zu berichten …blah-blah-blah. Ich blende sie aus und will weiterschauen, als sich eine kleine mollige Frau in einem noch molliger machenden Parka in die winzige Lücke zwischen dem Männerpaar und mir quetscht. Gezwungenermaßen, weil ihrem halbgegessenen Steakbrötchen ausweichend, wende ich mich ihr zu. Anders als ich hat sie offenbar große Lust, sich zu unterhalten und ich jetzt keine Chance mehr, ihr zu entgehen. „Wenisch Stände heut hier, net? Aber irgendwann müsse die ja au‘ mal Urlaub mache – die liesche bestimmt auf Hawaii am Strand und gebbe des viele Geld aus, des sie bei deene horrende Preise hier verdiene … also isch kaufe ja nett immer nur Bio, is alles viel zu deuer, aber neulisch, da hab ich ma Gadoffeln gekauft mit noch Erde dran, die habbe viel länger gehalte als die vom Supeemarkt … Isch bin mit meinem Sohn hier, der geht so gerne auf Mäkte – ei, wo ist der eichentlisch ….ach da isser ja.“ Ein hochgewachsener Mann schlendert auf uns zu, der irgendwie nordafrikanisch und wenig begeistert aussieht. „Hast Du was zum Esse gefunne, Schatz?“ fragt sie. „Ach, denn schau doch einfach noch ma. Des Steak is heut nett so gut, zu dünn geschnitte, die spare aber auch an allem.“ Der junge Mann verzieht sich. „Ja, also diese Gadoffeln, die wa‘n werklisch doll. Ach wissen Se, isch komm‘ ja net mehr so oft her, seitdem das isch in Dreieich wohn, aber die Mieten hier kann sisch ja auch keins mehr leisten …“ Irgendetwas in mir kann das Verschwinden des Herrn Sohn sehr gut nachvollziehen und ist neidisch auf ihn. Ich bleibe höflich, bin aber mächtig erleichtert, als sie nach zehn Minuten mit ihrem inzwischen wieder aufgetauchten Spross abzieht, wahrscheinlich in den nächsten „Supeemarkt“.
Als ich mich dem nächsten Grüppchen zuwenden will, trifft mein Blick den eines Mannes mit Hund und Helmut-Schmidt-Mütze, Alter zwischen 55 und 60 (Mann, nicht Mütze!), der mir bedeutet, ich solle lächeln. Was will der denn jetzt? Soll mich bloß in Ruhe lassen. Als ich die stumme und reichlich plumpe Kontaktaufnahme mit einem abschätzenden Grinsen quittiere, prostet er mir zu und wendet sich dann wieder seiner Töle und seinen drei Gesprächspartnern zu. Das war einfach.
Plötzlich fühle ich mich beobachtet. Ich folge dem Gefühl und entdecke am Nebentisch einen älteren Herrn in Lodenmantel und passendem Hut. Er steht mit ungerührter Miene da, vor sich einen Weißwein, und beguckt sich die Menschen – die männliche Ausgabe meiner selbst. Sofort lässt er den Blick weiterschweifen. Ich habe natürlich nicht das geringste Bedürfnis, ihn stumm zum Lächeln auf-zufordern, muss aber selbst schmunzeln, weil ich mich irgendwie ertappt fühle. Mittlerweile ist auch mein Glas leer. Weil mich ein zweites überfordern würde, packe ich meine Schätze zusammen und bahne mir den Weg zurück an die Theke, um das Leergut abzugeben. Schon meine Mom hat immer gesagt, man solle nicht andere Leute hinter sich herräumen lassen. Dabei komme ich an dem Mann mit Hund vorbei. Er raunt mir zu: „Ich hoffe, Sie kommen bald mal wieder“. Ob dieser Direktheit fallen mir als Reaktion nur ein spöttisches „Ja, sicher“, gefolgt von einem ungläubigen Kopfschütteln ein.
Für den heutigen Tag habe ich genug Menschen beguckt und belauscht. Ich ziehe mich zurück an den heimischen PC. Diese dreiviertel Stunde bietet ausreichend Stoff für einen Blogbeitrag.

Lass uns gute Freunde bleiben oder „Let me down easy“*

10 Samstag Jan 2015

Posted by anette quentel in (Zwischen)menschliches, Gute Freunde

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Anette Quentel, Blog

Schon mal gesagt oder gehört? Ich auch – sowohl als auch. „Gute Freunde bleiben“ … das klingt zunächst mal so, als würde sich gar nichts ändern. Und dennoch ist, sobald dieser Satz fällt, absolut nichts mehr wie es war. Er ist der Schlussakkord einer Liebe, die einer der beiden Beteiligten bis dato noch nicht als beendet betrachtet hat.

Warum sagen wir das dann? Weil es das Gewissen beruhigt? Ja, vielleicht auch das. Wer geht, weiß, dass er dem anderen wehtut, ob dieser das nun zeigt oder nicht. Das Freundschaftsangebot soll dem Abschied die Härte nehmen, die persönliche Verstauchung kühlen.

Ich wollte meine „Jungs“ immer wissen lassen, dass sie mir keineswegs egal waren, nur weil mir die Liebe abhandengekommen war, und dass sie nichts falsch gemacht haben. Sie waren immer noch die, in die ich mich irgendwann mal verliebt hatte, eben nur nicht mehr der richtige Partner für mich. Zudem war ich nie ein Fan von „Rosenkriegen“ (außer im Kino). Deshalb war mein „Lass uns Freunde bleiben“ auch Friedenszusicherung und Bitte um ein stressfreies Auseinandergehen. Mir stand weder der Sinn nach einer Diskussion der Schuldfrage noch nach dem Streit um den Toaster. Und ich wollte auch, dass sie an meinem Verhalten und meinem Umgang mit ihnen merken, dass es keine Hoffnung mehr gab. Bislang hat das immer funktioniert. Das ist aber vor allem den tollen Männern zu verdanken, die mein Angebot angenommen haben.

Das Freundschaftsangebot auszusprechen oder anzunehmen hat aber auch einen ganz praktischen Vorteil. Ich habe damit Lücken geschlossen, die jede Trennung reißt. Mit wem hätte ich denn Tennis spielen, Schränke aufbauen oder Theater/Kino/Oper besuchen sollen? Egoistisch? Nein, „win-win“, denn mit wem hätten denn die Jungs nach meiner Kündigung Tennis spielen, Schränke aufbauen oder Theater/Kino/Oper besuchen sollen?

Früher oder später haben wir natürlich alle jemand anderen gefunden, mit dem wir all dies (und vieles mehr) tun konnten. Und das ist gut so. Denn „Lass uns Freunde bleiben“ hieß für mich auch „Lass uns auf die sanfte Art auseinandergehen.“

Hinterfragt habe ich das erstmals, als ich selbst irgendwann das Angebot eines Übergans von der Liebe zur Freundschaft erhielt. Aus Sicht der Verlassenen, fühlte sich das plötzlich ganz anders an – degradiert und verschmäht. „Der spinnt ja wohl!“ so meine spontane Reaktion. Der Mann kann doch nicht ernsthaft glauben, dass ich ihm bei einer Pizza Geschichten aus meinem tristen Single-Leben erzähle, das er mir unfreundlicherweise beschert hat. Und er wird doch nicht etwa erwarten, dass ich ihn bei der Einrichtung seiner neuen Wohnung berate oder mir womöglich lächelnd anhöre, mit welch einer tollen Frau er dort einziehen wird – während ich in Einsamkeit meine Wunden lecke und ihn eigentlich nur zurückhaben will. „Warum sagt er sowas?“, habe ich mich gefragt. Um mich zu ärgern? Sicher nicht! Aus Mitleid? Nein danke! Gibt es noch Hoffnung? Quatsch, versteig Dich nicht in Illusionen!

Kurz und gut: Ich habe seine Hand ausgeschlagen und auf jeglichen persönlichen Kontakt verzichtet. Er hat ab und an angerufen, mir noch ein paar Mails geschrieben. Ich habe sie sehr kontrolliert und immer fröhlich beantwortet – bloß nicht zeigen, wie schlecht es mir geht. Die Nachrichten wurden immer seltener, enthielten immer belangloseres Zeug und irgendwann war Funkstille. Unterdessen war mein Leben voller Lücken, und häufig habe ich mich dabei ertappt, darüber nachzudenken, was er wohl tut, wie es ihm geht, wo er gerade ist, wen er trifft… Ich habe mich nächtelang in Spekulationen verstiegen, leise weinend und laut greinend nach Gründen für die Trennung gesucht, darüber nachgegrübelt, ob es doch noch Hoffnung gegeben hätte, mit mir selbst die Schuldfrage diskutiert, meinen Toaster an die Wand geworfen, abwechselnd ihn und mich gehasst, und mir Fragen gestellt, die nur er hätte beantworten können.

Erst als sich der erste Grind auf meinen Wunden gebildet hat und die blauen Flecken auf der Seele allmählich gelb wurden, ist mir bewusst geworden, dass er genau das gleiche getan hat, wie ich in früheren Fällen – und damit wahrscheinlich auch genau das gleiche wollte: Auf die sanfte Art auseinandergehen.

Noch heute tut es mir leid, uns diese Chance vermasselt zu haben, und ich bin seitdem umso fester davon überzeugt, dass ein „Lass uns Freunde bleiben“ der richtige Weg ist, voneinander Abschied zu nehmen.

*Song von Mick Hucknall auf der LP „American Soul“

Nizza zu dritt

06 Dienstag Jan 2015

Posted by anette quentel in Nizza 12/14, Reisen

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Anette Quentel, Blog, Nizza, Quentel

Montag, 29. Dezember 4:50 Uhr. Was für eine unchristliche Zeit – selbst für ein „Huhn“ wie mich, dem überzeugte Langschläfer eher suspekt sind. Nach einer extrem kurzen Nacht (Sind vier Stunden überhaupt schon mit gutem Gewissen Nacht zu nennen?) und den üblichen letzten Reisevorbereitungen wie Duschen, Kaffeetrinken, Heizung herunterregeln und Müll wegbringen, mache ich mich gegen sechs Uhr auf den Weg nach Nizza, zu einem dreitägigen Kurztrip, um mich mit Freunden zu treffen. Das Taxi passiert den Irish Pub an der Kurt-Schumacher-Straße, dessen offene Tür nicht nur den Blick auf einen sehr furchtbaren in psychodelischen Farben blinkenden Plastikweihnachtsbaum freigibt, sondern auch den Blick auf einen jungen Mann freigibt, der mit einer seltsam aufrechten Kopfhaltung und undefinierbarem Blick seinem Kumpel an der Theke mit einer klaren Flüssigkeit zuprostet. Form und Größe des Glases lassen nicht auf Wasser schließen. Ob sie wohl die Restgäste des gestrigen Abends oder die Erstgäste des heutigen Morgens sind? Egal: „Prost Jungs!“ In der Berliner Straße steigt Ralf zu mir ins Taxi, dessen Flieger zur gleichen Zeit startet wie meiner nach Nizza – ein purer Zufall, der uns den halben Taxipreis sparen lässt.

Es schneit leicht, die Straßen sind fast leer. In der vorüberquietschenden Straßenbahn sitzt eine einzige Frau. Sie sieht müde aus. Ich sicher auch, aber mittlerweile fühle ich mich hellwach. Im Radio laufen die Nachrichten. Irgendwo ist ein Flugzeug abgestürzt – ein beruhigender Gedanke, auch wenn es mir für die Familien der Opfer leidtut. Beruhigend, weil noch nie zwei Flugzeuge an einem Tag abgestürzt sind. Der Flughafen präsentiert sich noch im Weihnachtskleid. Alles glitzert und tönt besinnlich. „Weihnachten wird überbewertet“, hat mir kürzlich ein Freund geschrieben – von wem, frage ich mich. Entweder man ist ein Fan und freut sich auf die Zeit, oder man weiß von vorneherein, dass es stressig oder auch öde wird. Mein Weihnachten war vornehmlich einsam und ziemlich langweilig, aber das habe ich vorher gewusst,  und ich habe es überlebt.

Ralf und ich sind ein bisschen zu früh dran, weil zu dieser Zeit am Flughafen noch nichts los ist und sich unsere Erwartung langer Schlangen erfreulicherweise nicht erfüllt. Also trinken wir noch einen Kaffee zusammen. Unsere Gates liegen fast nebeneinander. Dann geht jeder seines Wegs. Hat durchaus etwas Symbolhaftes und wäre eine gute Schlussszene für einen Film ohne Happy End. Trotzdem lächelnd mache ich mich auf den Weg zum Flieger und erhasche beim Einsteigen einen Blick ins Cockpit. Der Pilot ist sehr jung, hat einen kahlen Kopf und große abstehende Ohren. Sicher hat er seine Karriere als Segelflieger begonnen. Der Mittelgang im Flieger ist verstopft, und bis man mich bis zur Reihe 19 durchgeschoben hat, gibt es keinen Platz mehr in den Gepäckfächern. Ich stehe ein bisschen ratlos herum, schiebe lustlos ein paar fremde Jacken hin und her, halte so die ganze Schlange hinter mir auf (erste knurrende Laute sind zu vernehmen) und wende mich dann an einen weiblichen Engel der Lüfte, der mich seit drei Minuten untätig beobachtet. Vielleicht ist sie einfach nur müde, was ich angesichts der Zeit durchaus verstehen kann, aber so müde, dass sie mein Koffer-Unterbringungsproblem nicht erkannt hat, kann sie eigentlich nicht sein. Also werte ich es mal als Unlust – soll vorkommen. Auf meine ausdrückliche Bitte um Hilfe hin bewegt sie sich mit routinierter Grazie auf mich zu und bequemt sich tatsächlich, ein bisschen Platz im Gepäckfach zu schaffen – lustlos, wusst‘ ich’s doch. Mein „Danke“ wird mit einem professionellen „gerne“ quittiert, das sich auch in Restaurants zunehmend breit macht und mir allmählich ganz schön auf den Senkel geht. Hin und wieder verwirre ich die Gerne-Roboter mit der Frage „Wirklich?“, was häufig lustige Reaktionen auslöst. Hochheben muss ich den Koffer selbst. Vor zwanzig Jahren wäre mir sicher irgendein junger Mann helfend zur Seite gesprungen. In zwanzig Jahren wird das wieder so sein, wenn auch aus anderen Gründen. Bis dahin stemme ich meine Koffer halt allein.

„Abflug um 7 Uhr 30“ stand überall, aber das war eine glatte Lüge. Zuerst galt es, die Fliegerflügel zu enteisen, was etwa 30 Minuten dauerte, dann war kein Abflug-Slot frei, was weitere 15 Minuten kostete. Dann endlich in der Luft. Als Snack gab es wahlweise Joghurt oder Sandwich – habe beides abgelehnt und mich auf einen Plastikbecher totes Wasser beschränkt (das gestrige Dinner im Hessischen Hof war reichhaltig). Nach etwa einer Stunde gab es heftige Turbulenzen, die der einen oder anderen Passageuse einen kleinen Kiekser entlockten – très charmante.

Nach einer unspektakulären Landung begrüßen mich ein himmelblauer Himmel, sehr sonniger Sonnenschein, Segelboote vor der Küste, Palmen an der Promenade, alles in einen goldenen Farbton getaucht: Wintergold. Südfrankreich, wie man es sich vorstellt, allerdings in einer ziemlich kalten Ausführung.

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Es herrschen gefühlte 5°C. Ich werde in einem ziemlich neuen und ziemlich großen schwarzen Mercedes die Küste entlang in gen Hotel chauffiert – von einer jungen Frau, die mich auf Französisch anspricht (wie auch sonst; wir sind in Frankreich). Ich höre mich auf Französisch antworten und staune über mich selbst. Die Sprache fühlt sich zugleich fremd und vertraut an. Die Karosse ist überheizt, aber die Kleene trägt einen von diesen Michelin-Männchen-Mänteln, in denen man selbst mit Größe 34 wie eine Tonne aussieht. Ich mache irgendeinen Scherz, den sie offenbar versteht und der sie zum Lachen bringt. Mein Lachen findet hingegen ein jähes Ende, als sie mich nach etwa 3km Fahrt vor dem Hotel West End abliefert und mir dafür 40 Euro abverlangt. Das sei unüblich teuer, meint kurz darauf auch der nette etwas zu kurz geratene Silvio am Empfang im Hotel. Hmmm, vielleicht hätte ich nicht das Designermäntelchen anziehen sollen. In so etwas wirkt man wohlhabender als man ist. Monsieur Silvio hat für mich die Mitteilung, dass mein Zimmer erst um 15 Uhr fertig sein wird, was ich mit einem kurzen gut gesteuerten Stirnrunzeln, gefolgt von einem duldenden Lächeln hinnehme. Er registriert natürlich, dass mir das nicht gefällt. Dann kommt wieder diese Frage, die ich irgendwie nicht mag: „Sie reisen alleine, Madame?“. Meine Antwort: „Oui, malheureusement.“ (zu Deutsch „unglücklicherweise ja“) scheint Mitleid zu erwecken – muss ich mir merken. Er telefoniert kurz und organisiert mir ein Zimmer, das schon bezugsbereit ist, und begleitet mich noch rauf in eine für deutsche und andere europäische Verhältnisse winzige Stube. Zum Glück bin ich nicht voluminös. Angesichts der Enge empfinde ich es für einen Moment als ganz angenehm, dass Madame allein reist ….

Jetzt mache ich mich auf den Weg zu Christian und Jon, die im Negresco-Prachtbunker nebenan wohnen, und mir schon eine SMS geschickt haben, wo ich denn bleibe…

Immer noch Montag, 29. Dezember, aber nicht mehr lange Am Nachmittag sind wir an der Promenade entlang und dann in der Altstadt herumspaziert. Viele lächelnde Menschen. Alle wirken entspannt. Zu sehen gibt es eine Unzahl kleiner Lädchen mit mehr oder weniger interessantem Angebot, aber auch viele schöne kleine Plätze und tolle alte Häuser. Die Verkäufer sind überhaupt nicht aggressiv, sondern warten bescheiden auf Kundschaft. Ganz anders die Gästeeintreiber der Restaurants. Ich erklärte etwa 12 Mal in mindestens drei Sprachen, dass wir schon gegessen haben. Das war zwar gelogen, aber ein Totschlagargument. Chris und Jon haben einen Kühlschrankmagneten mit ihrem Hotel drauf als Souvenir erstanden. Mir war nicht nach Andenken-Shopping, bin ja gerade erst angekommen und wer weiß: Vielleicht möchte ich mich ja später gar nicht an die drei Tage hier erinnern. Von der Altstadt aus haben wir uns den Colline du Chateau hinauf gearbeitet, den Hausberg von Nizza, der einen Park und viele schöne Aussichten bieten soll (viele Treppen). Auf dem Weg nach oben ein kurzer Abstecher auf einen jüdischen Friedhof. Es war ganz still und schön schaurig. Die Toten werden hier nicht unbedingt in der Erde sondern häufig in marmornen Gruften aufbewahrt, was den Friedhof fast wie eine kleine Stadt wirken lässt. Auf vielen Gruften stehen Fotos. Wenn man sie eine Weile anschaut, bekommt man fast das Gefühl, man hätte den oder die Verstorbene(n) gekannt, und trauert ein bisschen mit.

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Nach einer Viertelstunde zogen wir weiter in Richtung Hügelkuppe, wo tatsächlich viele tolle Ausblicke aufs Meer, die Stadt und den Hafen warteten. Mittlerweile war es so warm, dass ich mich von etwas Stoff befreit (nur an den Schultern, versteht sich) und ein kleines Sonnenbad genommen habe – unter einem unverschämt blauen Himmel und bei einem guten Cappuccino vom Kiosk. Die Buben haben ein bisschen gespottet, aber das macht nichts.

Auf dem Rückweg dann die Beinahekatastrophe. An einem Aussichtspunkt erreichte mich die SMS von Simone, die sich erkundigte, ob ich noch vor dem großen Schnee aus Frankfurt herausgekommen sei. Ich habe ihr direkt geantwortet und mein iPad solange auf einer Mauer geparkt. Die Jungs waren schon vorweg gelaufen, so dass ich mich beeilt habe, um sie nicht warten zu lassen. Nach dem Abstieg (wieder viele Treppen) sind wir in einem französischen Restaurant in der Altstadt gelandet, das hausgemachte Foie Gras (tierpolitisch absolut inkorrekt, aber in der Regel sündhaft gut) und verlockende Desserts anbot – zwei gute Gründe zu bleiben. Kurz nach der Bestellung griff ich nach dem iPad, um nachzusehen, was ich so alles fotografiert habe – allein der Griff ging ins Leere. Das iPad war weg! Es folgte zunächst die übliche wilde Durchsuchung meiner Monsterhandtasche, in deren Tiefen so ein Gerät schon mal verloren gehen kann – diesmal leider nicht. Dann haben wir rekonstruiert, wann ich es das letzte Mal in der Hand hatte. Ergebnis: am letzten Aussichtspunkt.

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Ich hatte das kostbare Endgerät offenbar auf der Mauer liegengelassen. Chris meinte, ich könne mein weiß-goldenes Prachtstück getrost vergessen und fing an zu überlegen, über welche meiner Versicherungen man das abwickeln kann. Ich meinte aber, es gäbe so viele ehrliche Menschen auf der Welt. Vielleicht habe es ja jemand gefunden und irgendwo abgegeben. Jon hielt das für unwahrscheinlich, aber nicht für ausgeschlossen. Chris lächelte mitleidig, aber keiner hielt mich davon ab, den Haushügel ein zweites Mal zu besteigen (also nochmal viele Treppen). Als ich atemlos am Mäuerchen des Vergessens ankam, war natürlich nichts mehr zu finden. Nächste Station: der nahe Kiosk. Auf dem Weg dorthin stürzte ein etwa zehnjähriger Junge beflissen auf mich zu und fragte auf Deutsch, ob ich vielleicht mein iPad suchte. Ich sähe ein bisschen verzweifelt aus. Auf mein eifriges Nicken führte er mich zu seinem Vater, der berichtete, Holländer hätten mein Ei-Teil gefunden, den deutschen Spruch auf der Rückseite gelesen und ihn gefragt, ob es vielleicht seines sei. (An dieser Stelle bitte ich höchst offiziell alle Einwohner der Niederlande für meine vielen lästerlichen Bemerkungen über Wohnwagen, Käse und Heringe um Verzeihung.) Er habe das iDing dann im Restaurant auf der Spitze des Hügels abgegeben. Dort dort angekommen gab es mir die Kellnerin mit deutlichem Bedauern zurück – sehr verständlich, denn wenn ich nicht aufgetaucht wäre, hätte sie ein neues iPad gehabt. Glück gehabt, viel Organisationskram und eine Menge Geld gespart!

Das Beste an der ganzen Geschichte ist aber der Beweis, dass es tatsächlich noch ehrliche Menschen gibt. Zurück im Restaurant am Fuße des Hügels war Chris einigermaßen erstaunt und ich sehr glücklich. Seltsam, dass es glücklicher macht, etwas zurückzubekommen, dass man verloren geglaubt hat, als es gar nicht erst zu verlieren.

Wir haben dann mittelmäßig gut gegessen und uns gegen vier Uhr auf den Weg zurück zu den Hotels gemacht. Chris hatte sich die Hose mit der leider etwas zu fetten Foie Gras eingewutzt und wollte schleunigst aus ihr raus. Für später haben wir uns zu einem Gin Tonic bei Sonnenuntergang in einer kleinen Open-Air-Bar am Strand verabredet, die im Sommer bestimmt total überlaufen ist. Heute waren wir die einzigen Gäste. Am Strand schlenderten ein paar Unverzagte herum, die sich von Temperaturen von etwa 7° nicht ihre Lust an Meer und Strand vermiesen ließen, und ein paar Angler wurden in der untergehenden Sonne allmählich zu Scherenschnitten. Ja, ich weiß, eigentlich sehen alle Sonnenuntergänge gleich aus. Aber alle sind schön. Und sie sind voller Hoffnung, weil man sich sicher sein kann, dass die Sonne niemals für immer geht.

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Als uns kalt wurde, sind wir eine Stunde durch die Stadt gelaufen und haben am Bahnhof gecheckt, wann Züge nach Monaco fahren. Chris will da morgen unbedingt hin. Bei meinem letzten Besuch fand ich es dort „unspektakulär bis hässlich“, aber ich fahre trotzdem mit. Er hat einen Contest mit einem Kumpel laufen, wer die meisten Länder bereist. Bei ihnen gilt Monaco als Land.  Als Beweis zählen einschlägige Fotos. Ich bin sicher, es wird ihm dort auch nicht sonderlich gefallen, aber das gehört zu den Dingen, die man selbst erfahren muss.

Den restlichen Abend haben wir bei Weißwein, korsischem Käse und Schinken in einer Weinbar am Rande der Altstadt verbracht. Es gab leckeren Sancerre für ein unverschämtes Geld, aber egal. Mein Hotel war ja relativ günstig. Seit elf bin ich wieder in meiner Puppenstube (ziemlich nüchtern, aber todmüde nach der vielen Herumrennerei), und habe feststellen müssen, dass die hier ziemlich gut heizen und man die Temperatur nicht selbst regeln kann. Wegen der bitteren Kälte ist ein offenes Fenster allerdings keine Option, weil mir sonst vermutlich der Tod durch Erfrieren droht. Also: Fenster zu und auf der Decke schlafen.

Dienstag, 30. Dezember, 7 Uhr 30 Das mit dem Einschlafen ging ratzfatz, zumal es hier nur französische Fernsehsender gibt, und ich mich sehr anstrengen muss, um der Handlung zu folgen. So toll ist mein Französisch nämlich doch nicht mehr, wie ich nach dem gestrigen ersten Überschwang schnell gemerkt habe. Trotzdem macht es Spaß, ein paar Tage dreisprachig zu kommunizieren. Jon spricht kein Deutsch, so dass wir zu dritt immer Englisch reden. Wenn er kurz weg ist, sprechen Chris und ich natürlich Deutsch, und mit den Franzosen hier versuche ich es auf Französisch.

Nach einem wie immer ziemlich furchtbaren Instantkaffee, den mir das Hotel nebst Wasserkocher gratis zur Verfügung stellt, warte ich jetzt auf den sicheren Sonnenaufgang, den ich sogar von meinem Bett aus bewundern kann. Das Hotel liegt an der Küstenstraße, die sich gerade belebt, und an der Promenade sind schon die ersten Jogger unterwegs (das sollte mir mal einfallen). Nachher brauche ich wohl die Hilfe von Silvio von der Rezeption. Der wunderbar antike Safe ist so sicher, dass ich ihn nicht mehr aufbekomme. Ich bin aber überzeugt, dass mir geholfen werden kann. Der Raucherin in mir ist hier hingegen gar nicht zu helfen, weil im Hotel Rauchverbot herrscht und mein „Balkon“ ein „französischer Balkon“ ist, also eigentlich gar keiner, sondern ein halbhohes Gitter vor dem bodentiefen Fenster. Macht nix – nicht rauchen ist auch ok.

Zur Abwechslung mal ein Sonnenaufgang ... aus dem Zimmerfenster

An der Kundenfront ist es ruhig, obgleich doch gestern ein Arbeitstag war. Wahrscheinlich geht es erst in der nächsten Woche wieder richtig los. Ob die alle in Nizza sind? Die Stadt und die Promenade sind am Tage nämlich brechend voll.

Um viertel nach acht kommen die Buben zu mir ins Hotel zum Frühstücken.

Dienstag, 30. Dezember, 23 Uhr Der Kellner hat heute Morgen ein bisschen seltsam dreingeblickt, als ich ihm sagte, die beiden Herren seien meine Gäste – einen Penny für seine Gedanken ….

Nach der Stärkung an einem Buffet, das abgesehen von der Tatsache, dass es Rühreier aus dem Tetrapack gab, keine Wünsche offen ließ, machten wir uns auf den Weg nach Monaco. Der 2,8km² kleine Stadtstaat mit seinen etwa 37.000 Einwohnern, von denen ungefähr 80% auf Nicht-Monegassen entfallen, ist in den letzten Jahren nicht schöner geworden. Ein Haus neben steht dem anderen und es gibt viele Autos (darunter allerdings ein paar wirklich schöne Exemplare, die man selten sieht), deren Fahrer die Verkehrsregeln frei interpretieren. An unserer ersten Station (Hotel de Paris und Casino) schoss Christian gleich mal die Beweisfotos für seinen Kumpel.

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Dann sind wir das Küstensträßchen entlang nach unten an den Hafen gelaufen, um festzustellen, dass Weihnachten hier etwas länger dauert als üblich. Der Weihnachtsmarkt war noch in vollem Gange – eine spannende Sache für Jon, der Philippine ist und in Singapur lebt. Auf dem Weg haben wir mal einen scheuen Blick auf die Immobilienangebote geworfen und festgestellt, dass wir uns selbst dann kein 50m²-Appartment in Bestlage leisten können, wenn wir alle unsere Rücklagen zusammenwerfen würden. Macht aber gar nichts. Hier würde eh‘ keiner von uns wohnen wollen. Die Tatsache, dass es auf dem Weihnachtsmarkt zwar keine Mohrenköpfe gab, aber dafür einen Stand, der flaschenweise Champagner verkaufte, und das Snackangebot an Austern mit Chablis hat uns in dieser Meinung nur bestärkt. Glühwein gab es aber auch, und den haben wir gekostet – war lecker.

Hier will keiner wohnen

Mit ein bisschen Überredung ist es mir dann gelungen, die Buben, für einen Aufstieg in die Altstadt und zum Grimaldi-Domizil zu gewinnen. Sie haben zwar etwas gemurrt, waren dann aber froh, die sportliche Einlage ertragen zu haben. Enge Gassen gibt es hier zwar auch, aber die sind pittoresk und nett anzusehen. Wenn man sich hindurchgezwängt und allen Andenkenverlockungen wiederstanden hat, wird man mit einem tollen Ausblick belohnt. Nach einer kleinen Stärkung haben wir (auf Wunsch von Chris) einen Abstecher zum Grab von Gracia Patricia gemacht.

Belichtungsfehler

Dann haben wir uns das Ozeanographische Museum vorgenommen. Christian ist begeisterter Taucher. Zu sehen gab es unter anderem auch sehr große Aquarien (wenn auch nicht so große wie in Barcelona) mit fast allem, was das Meer so an Lebendigem zu bieten hat. Meine persönlichen Highlights waren das Quallen-Aquarium und der „Steichelzoo“, wo ich Baby-Haie anfassen konnte. Die waren regelrecht verkuschelt die kleinen Dinger und gebärdeten sich unter meiner Hand fast wie kleine Hunde – nur dass man hinterher nicht nach Hund riecht und auch kein Fell an den Klamotten hat. Vielleicht sollte ich mir einen Hai zulegen. Leider hatten die Herrchen und Frauchen der Haie irgendwas ins Wasser gekippt, das meine Haut gar nicht mochte. Meine Hände schwollen rot an und brannten ordentlich. Das ging aber schnell vorüber und trübt die Erinnerung keineswegs.

Zauberhaft

Nach dem Abstieg haben wir uns noch einen Glühwein gegönnt. Dann ging es per Zug wieder zurück nach Nizza mit dem Ziel, dort irgendwo ein spektakuläres Fisch- und Meeresfrüchte-Dinner einzunehmen.  Dummerweise haben wir uns verlaufen und sind auf der anderen Seite des Hügels gelandet, den wir gestern erklommen hatten. Für einen Weg, der eigentlich nur 20 Minuten dauert, haben wir über eine Stunde gebraucht. Dafür haben wir nun auch den östlichen Teil der Stadt gesehen und wissen, dass es dort aussieht wie in allen anderen Städten. Das Schöne an Nizza sind eindeutig die Altstadt, das Meer und der Colline du Chateau. Nach unserer Tageswanderung waren wir ziemlich k.o. und mächtig hungrig. Aber uns konnte geholfen werden. Wir entschieden uns für „Chez Freddy“ am Blumenmarkt (mit Free WiFi), das mit prächtigen Meeresfrüchte-Platten warb. Und genau so eine haben wir uns bestellt: Austern in verschiedenen Größen, allerlei unterschiedliche Muscheln, Krebse und Garnelenarten haben uns für alle Mühen des Tages entschädigt. Richtig geschlemmt haben wir und viel gelacht.

Nach den abschließenden Schokoladenfondants mit Eis und Sahne, dessen Kaloriengehalt etwa einem Silvestermenü für vier Personen entsprochen haben muss, waren wir alle drei so kaputt, dass wir uns eigentlich nur noch der Ordnung halber zu einem Absacker in die Bar vom Negresco geschleppt haben. Wenn Chris mich nicht eingeladen hätte, wäre das mit 21 Euro der teuerste Cocktail meines Lebens geworden. Die orange-pink-farbene mit zwei Alkoholika angereicherte Flüssigkeit war zudem unspektakulär, aber zumindest die Cocktailkirschen hatten Klasse.

Jetzt gehe ich erstmal wieder mit den Buben frühstücken. Der Kellner wird unseren Anblick heute sicher schon gewohnt sein und weniger drollig dreinblicken. Die Jungs reisen heute Mittag ab, ich heute Abend um sechs.

Mittwoch, 31. Dezember (Silvester) Den halben Tag allein in Nizza habe ich in der Altstadt verbracht und bin über den Blumenmarkt geschlendert.

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Ein Designerkleid habe ich nicht erstanden. Das war ja ursprünglich mal geplant, weil ich gegenüber dem Le Negresco, in dem Christan und Jon ihre müden Häupter abgelegt haben, mit der Wahl meines Hotels (direkt nebenan und mit nur einem Stern weniger) in zwei Nächten ganze 500 Euro gespart habe. Als Souvenir gab es statt Kleid ein Stück Honigseife für 4 Euro 50. Die steht dann später nicht rum und riecht zudem auch gut. Zum Abschluss meiner Kurzreise genehmigte ich mir noch eine noch lauwarme Tarte au Citron, die leider ungefragt durch die Zugabe von Sprühsahne und einer ebenso pappsüßen wie überflüssigen Kirschsauce zu einem „Kuchenteller“ aufgewertet wurde und mich um 8,50 Euro ärmer machte. Zum Flughafen habe ich dann den Bus genommen – für schlappe 6 Euro, um einem nochmaligen Nepp durch niedliche Taxischauffeusen in Polstermäntelchen zu entgehen.

Der Flieger war halb leer; offenbar haben die meisten Menschen am Silvesterabend bessere Einfälle, als wild durch die Gegend zu reisen. Auch deshalb bin ich überpünktlich gelandet – am vorletzten Gate des Flughafens in Frankfurt, um nach einer 20-minütigen Wanderung festzustellen, dass mein Koffer, den ich nach der Gepäckfachknappheit auf dem Hinflug diesmal aufgebeben hatte, am vorletzten aller Kofferbänder ankommen würde … sehr konsequent, finde ich. Taxen gab es genug, so dass ich schon vor neun in der heimischen Stube ankam. Die ganze Bude roch nach Gänsebraten mit Rotkraut. Irgendein Lüftungsschacht scheint durchlässig. In Anbetracht meines leeren Kühlschranks war ich froh, dass ich dank des üppigen Tarte-au-Citron-Menus nicht hungrig war.

Nach den üblichen Urlaubsnachbereitungstätigkeiten (Kofferleerung, Wäschewaschung) wollte ich mich für zwei Stündchen hinlegen und mir in Ermangelung anderer ernstzunehmender Optionen um zwölf das Jahreswechsel-Feuerwerk von Ralfs Balkon aus ansehen. Die Wohnung hat einen guten Blick in Richtung Fluss. Habe mir also den Wecker für halb zwölf gestellt, selbigen aber offenbar im Halbschlaf abgestellt. Geweckt hat mich die mitternächtliche Knallerei. Für den Spaziergang und die 86-Stufen-Erklimmung von Ralfs Wohnung war es da natürlich zu spät. Ist aber nicht schlimm, denn so bin ich der Gefahr entgangen, doch noch sentimental zu werden. Dafür war ich im Halbschlaf nämlich viel zu müde. In diesem Sinne: Happy New Year!

Fazit: Nizza ist selbst im Winter einen Kurz-Trip wert, auch Monaco hat schöne Ecken, und drei Tage zu dritt sind erheblich unterhaltsamer als acht Tage allein im Luxusbunker auf Rhodos.

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