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Es soll ja durchaus Menschen über 50 geben, die sich wild ineinander verliebt haben, ohne Wenn und Aber aufeinander zugestürmt sind – mit Schmetterlingen, Blödsein, WhatsApps im Viertelstundentakt und dem vollen „Junge-Erwachsenen-Programm“. Das berichten zumindest einschlägige Frauenzeitschriften, von denen es ja mittlerweile auch schon Versionen für Mädels in einem Alter gibt, das bei den Jungs als die besten Jahre gilt. Mal unter uns: Ich möchte gar nicht wissen, wie lange die suchen mussten, bis sie die für eine Reportage notwendigen drei Erfolgsstorys gefunden hatten.
Tatsächlich machen wir mittelalten Jungs und Mädels es uns nämlich verdammt schwer. Schließlich trägt jede(r) von uns die eine oder andere Seelenschramme mit sich herum, bestenfalls kaschiert durch einen Top-Body und/oder umschmeichelt von einem Designerkleidchen oder -anzug − schlechtestenfalls verborgen unter Fettpölsterchen und/oder leichten Verdickungen unter den Unterlidern, die von bisweilen unmäßigem Alkoholgenuss und zu wenig Schlaf zeugen.
Der/die eine oder andere hat auch schon Esoterik- oder Therapieerfahrung aus der „Sei gelassen und liebe Dich selbst“-Kiste im Gepäck, leicht zu erkennen am beseelten „Das Universum weiß, was gut für mich ist, alles geschieht, wie es geschehen muss“, am betont entschlossenen „Nein, das möchte ich nicht“ oder am pseudo-lockeren „Du, meine Freiheit ist mir total wichtig, ich verbiege mich für niemanden“. Manche lassen sich sogar dazu hinreißen, sich selbst und den Rest der Welt mit einem „Ach, ich lebe so gerne allein: keine Kompromisse, keine Rücksichtnahme auf irgendwen und himmlische Ruhe, wenn ich nach Hause komme“ zu belügen. Und wenn ich Sätze wie: „Ich bin so gerne Single. Ich brauche keinen Partner. Ich habe alles, was ich will“ höre, gehen bei mir die Zweckoptimismus-Alarmleuchten an.
Hey, dafür sind wir noch zu jung, wir Mittelalten!
Niemand zwischen 50 und Anfang 60 kann mir erzählen, dass er/sie sich allabendlich selig lächelnd auf dem Sofa der ihn/sie umgebenden Stille erfreut, und sich nie eine Schulter wünscht, die nicht dem besten Freund/der besten Freundin oder der Mutti gehört. Und niemand kann mir weismachen, dass seine/ihre je nach Geldbeutel Pasta- oder X-Sterne-Dinner-Abende im Kreise befreundeter Paare und/oder anderer Singles oder der eine oder andere Event in Begleitung einer wahlweise stilvollen oder unglaublich gutaussehenden Begleitung (im Idealfall beides) das sind, was er/sie unter erfüllter Zwischenmenschlichkeit versteht.
Und wenn dann plötzlich so jemand auftaucht? Auch allein, auch des Alleinseins überdrüssig, auch auf der Suche nach ein bisschen Wärme für Seele und, ja, auch für den Körper − denn um damit abgeschlossen zu haben, sind wir auch noch zu jung 😉 Wenn da also jemand auftaucht, mit ähnlichen Interessen, der aber genug Neues mitbringt, um zu inspirieren? Jemand, mit dem man lachen kann und streiten; über Musik, Romane, die Aktienmärkte, die letzte Premiere oder das neue iPad diskutieren; in Ausstellungen, in die Kneipe an der Ecke oder in die Oper gehen; Shoppen, Joggen, Kuchen essen oder eben einfach nur auf der Couch oder am Wasser sitzen kann? Jemand, dem man stundenlang zuhören könnte und der mit einem nach einem guten Essen nebst einer Flasche Wein, „My way“ grölt, bis die Nachbarn klingeln, der einen ordentlich durchküsst und sich ordentlich durchküssen lässt – eine(r) der/die noch genauso viele Träume hat und sich meist so jung und manchmal so alt fühlt wie man selbst. Kurz: jemand, mit dem es vielleicht so richtig schön werden könnte?
Dann machen wir (Über)Lebensexperten erstmal zu − sicherheitshalber!
Denn dann fangen die so mühsam oder teuer getarnten Schrammen an zu jucken. Und der kleine Affe Angst auf der linken Schulter fragt: „Und wenn das wieder schiefgeht?“ – „Und wenn es doch nicht passt?“ Denn gesellt sich die Erfahrung dazu: „Wenn er/sie in ein paar Wochen oder Monaten wieder weg ist, wird es sich noch einsamer anfühlen als beim letzten Mal …“ Und dann schaltet sich der Kopf ein: „What goes up, must come down again“ (denn um das nicht zu wissen, sind wir nicht mehr jung genug 😉 ) – dicht gefolgt vom Selbstschutzmechanismus: „Besser mal vorsichtig sein, abwarten, so tun, als würde einen der/die andere nicht sonderlich interessieren. Bloß keine Gefühle investieren. Cool bleiben. Und auf gar keinen Fall irgendwas erwarten! Wer nichts erwartet, kann nicht enttäuscht werden.“ Schließlich folgt das Übelste, das Kalkül, denn als „gestandene Singles“ sind wir ja strategisch lebensgeschult: „Jetzt lasse ich genau drei Tage vergehen, bis ich auf seine Nachricht antworte, sonst hält er mich womöglich noch für einen verzweifelten Single.“ (Originalzitat aus einem Gespräch mit einer Single-Bekannten) … Pah, alles Quatsch, alles schlecht!
Warum nicht einfach machen? Warum nicht, sich vor Augen führen, dass jeder Mensch anders ist und die „neue Option“ nichts mit den alten Schrammen zu tun hat. Warum nicht alles erwarten, gleich antworten, sagen, dass man den anderen verdammt gut findet?
Eine meiner Lieblings-Lebensweisheiten ist: „Mit ‚Ach egal, ich mach einfach mal‘ haben einige der blödesten Erfahrungen meines Lebens begonnen. Einige der besten aber auch!“ Ich möchte die blöden nicht missen. Auch die haben mein Leben bereichert, bunt gemacht, und keine davon war so blöd, dass sie nicht auch gut gewesen wäre. Und für die besten werde ich ewig dankbar sein.
Also Ihr lieben Mit-Mittelalten: Aufmachen, Dinge zulassen und das kleine Äffchen von der linken Schulter schubsen. Einfach mal losstürmen, bestenfalls wild und ohne Wenn und Aber in zwei offene Arme und sich lachend mit offenen Armen erstürmen lassen. Wenn es am Ende doch nicht gepasst hat, dann hat es halt nicht gepasst, aber schön war’s eine Weile! Und wenn es am Ende passt, ist sowieso alles gut.
*Titel inspiriert vom Titel eines Theaterstücks, das ich kürzlich gesehen haben, bei dem es aber um etwas ganz anders ging.