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MACBETH – ein Bastard von Dave St-Pierre und William Shakespeare. Bereits beim Einführungsgespräch vor der Vorstellung war klar, dass ich am letzten Mittwoch kein „Well made Play“ zu sehen bekommen würde. Eine assoziative Inszenierung sollte es werden, düster, musikalisch und tanzgeladen. Das klang nach Regietheater, also spannend und innovativ, denn alten Wein in neuen Schläuchen braucht kein Mensch. Und so nahm ich irgendwo in der dritten Reihe Platz, ganz dicht am Geschehen und bereit für einen Abend, der laut Dramaturgin einer unheimlichen Reise gleichen sollte. Zunächst war es mal vor allem unheimlich dunkel, und das sollte es in den folgenden knapp zwei Stunden bleiben. Begleitet von wummernder Elektromusik tanzwälzten sich die Hexen und Hektate in zäher blauer Farbe – auch mal eine Art Kostüm – um irgendwann ihre Prophezeiungen auf Tafeln zu schreiben. Ja, und wann geht es richtig los, fragte ich mich. Es ging nicht los. Es ging weiter. Bild auf Bild, mal eindrucksvoll-prägnanter, mal schmerzhaft in die Länge gezogener Ausdruck von Seelenzuständen. Assoziationen, die sich mir trotz zum Teil vielfacher Wiederholungen und Variationen nicht erschlossen. Zu fremd war mir die Denke des frankokanadischen Choreographen, der sich hier in Deutschland erstmals an der Regie eines Theaterstücks versuchte. Zu fremd auch das Medium Tanz. Anderen erging es offenbar ähnlich: einige schliefen, andere flohen. Wer blieb, wildentschlossen, sich dem ungewohnten Spektakel zu öffnen, wurde mit dem einen oder anderen intensiven Moment belohnt. Spannend wurde es immer dann, wenn die Schauspieler das taten, was sie können: Schauspielen. Leicht hat ihnen das der Regisseur nicht gemacht. Schließlich hat er sie der Sprache und damit einer ihrer wichtigsten Ausdrucksformen beraubt. So verschwand Shakespeare, zusammengestrichen auf gefühlte 1,5 Seiten (tatsächlich sollen es fünf gewesen sein) unter viel blauer Farbe und kunstvollem Bondage auf fast nacktem Körper, in Tongebilden und hinter Bewegungsorgien, die den Spielern zum Teil sehr sportliche Leistungen und viel Körperbeherrschung abverlangten. Verwirrt verließ ich den Saal und fragte mich, warum ein Künstler, dem Worte und Sprache offenbar so wenig bedeuten, in einem fremden Land einen britischen Klassiker mit Schauspielern inszeniert und nicht einfach ein Ballett schreibt. Das könnte er dann mit professionellen Tänzern umsetzen und würde womöglich Begeisterungsstürme auslösen. Die sind am Mittwoch ausgeblieben. Antwort auf meine Frage erhoffte ich mir aus dem anschließenden Publikumsgespräch. Das Ensemble war vollständig versammelt, die Dramaturgin moderierte. Anstrengend, ungewohnt aber aufregend sei es gewesen. Darin waren sich alle einig. Irgendjemand merkte an, dass man den Regisseur selten zu Gesicht bekommen hätte … Wirklich erhellend war aber der Hinweis einer Schauspielerin, dass dieser eigentlich ein anderes Konzept im Sinn gehabt hatte, aber an den natürlichen Grenzen der Tanzfähigkeiten der Ensemblemitglieder gescheitert sei. Ha, das kenne ich aus dem Amateurtheaterbereich. Hier scheitern regelmäßig Regie-Konzepte an den schauspielerischen Grenzen der zur Verfügung stehenden Spieler. Ich habe beschlossen, den Abend als das Ergebnis eines Experiments zu betrachten. Aus meiner Sicht ist es gescheitert, aber ich freue mich für die Schauspieler, die sich ausprobieren konnten. Das ist an Stadttheatern eher selten möglich. Für mich als Zuschauer gilt allerdings: lieber gutes (Regie)Theater als fast gutes Ballett UND lieber Macbeth und seine Lady mit den ihnen zugedachten Worten als einen Bastard von viel St-Pierre und wenig Shakespeare. (Bilder von Yves Klein, Quelle: scraphacker.com)